Serie Vor 215 Jahren "Das linke Rheinufer auf immer französisch"

Kreis Viersen · Seit dem Frieden von Lunéville von 1801 gehörte auch das heutige Kreisgebiet staatsrechtlich zu Frankreich

 Die staatliche Zugehörigkeit des Niederrheins 1806, nachdem das rechtsrheinische "Großherzogtum Berg" als weiterer französischer Satellitenstaat errichtet worden war.

Die staatliche Zugehörigkeit des Niederrheins 1806, nachdem das rechtsrheinische "Großherzogtum Berg" als weiterer französischer Satellitenstaat errichtet worden war.

Foto: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Irmgard Hantsche

Man ist stets gut beraten, mit historischen Vergleichen sehr vorsichtig zu sein. Aber Parallelitäten zwischen dem Jahr 1801 und 1933 drängen sich insoweit auf, als die Akteure in beiden Fällen überzeugt waren, etwas sehr Dauerhaftes zu begründen. Dachten die Nazis an ein 1000-jähriges Reich, so war Napoleon Bonaparte, damals noch Erster Konsul seines revolutionären Landes, 1801 sicher überzeugt, Frankreich werde für immer das linksrheinische Gebiet besitzen. In beiden Fällen brachen die Träume nach zwölf Jahren zusammen.

Gute sechs Jahre war es her, dass die französischen Revolutionstruppen 1794 die linksrheinischen Gebiete des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erobert hatten. Der Kurfürst von Köln war fortan nicht mehr Landesherr in Kempen und Willich, der König von Preußen nicht mehr Landesherr in Viersen und Lobberich, und der Kurfürst von der Pfalz als Herzog von Jülich nicht länger Landesherr in Dülken und Waldniel. Alles wurde auf den Kopf gestellt. Der Adel sah sich entmachtet, die Kirche unterdrückt, Jahrhunderte alte Rechtsgewohnheiten wurden rigide beseitigt, drückende Kontributionen eingetrieben.

Statt in den Ämtern Krickenbeck, Brüggen und Kempen lebten die Menschen jetzt in den Kantonen Bracht, Viersen und Neersen. Zu gewöhnen hatten sie sich an die auf Zentralismus aufgebaute französische Verwaltungsstrukturen von der Zentralverwaltung in Paris über das Departement, das Arrondissement, den Kanton bis zur Mairie (Bürgermeisterei). Der größte Teil des heutigen Kreises Viersen gehörte zum Departement de la Roer (benannt nach dem Flüsschen Rur) mit Aachen als Sitz des Präfekten und zum Arrondissement Krefeld. Viersen, Bracht und Neersen waren Kantonsorte.

Vorgezeichnet war der Weg zur Abtretung der linksrheinischen Gebiete an Frankreich schon im Sonderfrieden von Basel 1795, in dem Preußen gegen eine Entschädigung auf der rechten Rheinseite auf seine linksrheinischen Gebiete verzichtete, und im Frieden von Campo Formio 1797, in dem Österreich seine niederländischen Gebiete aufgab und dafür Mailand und Venedig erhielt.

Staatsrechtlich abschließend sanktioniert wurde das dann im Frieden von Lunéville, den der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation mit der Republik Frankreich abschloss. Dort hielt Napoleon Bonaparte, zunächst noch als Erster Konsul, alle politischen und militärischen Fäden in seiner Hand. Sein kometenhafter Aufstieg zum Kaiser von Frankreich stand noch bevor. Unterzeichnet wurde der Vertrag am 9. Februar 1801 und am 9. März nahm Napoleon das linke Rheinufer dann offiziell in Besitz.

Auch auf dem Gebiet es heutigen Kreises Viersen wurde jetzt alles französisch. 1804 wird der Code civil (bürgerliches Gesetzbuch) verbindlich. Persönliche Freiheit, Rechtsgleichheit, privates Eigentum, Zivil-Ehe und Ehescheidung werden garantiert beziehungsweise eingeführt. Der Staatsdienst steht allen offen, Straßenbau, Gewerbe und Industrie profitieren, kurz: Alles wird moderner. Doch auch die Schattenseiten sind unverkennbar: Pressezensur, Geheimpolizei, hohe Steuerlasten, erzwungene Einziehung vieler Männer in das französische Heer.

Da nach den von Willkür und Religionsunterdrückung gekennzeichneten ersten Jahren, die der Eroberung des Niederrheins gefolgt waren, mit Napoleon vieles moderater, geordneter, berechenbarer zuging, und sich auf etlichen Gebieten des Alltags Fortschritte einstellten, fand eine innere Versöhnung mit der Lage statt. Selbst Angehörige der adeligen und kirchlichen Eliten, die vormals erbitterte Feinde alles Revolutionären gewesen waren, sahen in der französischen Herrschaft die Zukunft. Doch selbst Napoleons Bäume wuchsen am Ende nicht in den Himmel. Am Ende waren viele Hunde des Hasen Tod. Die Koalition von Österreich, Russland und Preußen machte dem lange beinahe scheinbar unbesiegbaren Korsen das militärische Ende. Um den Jahreswechsel 1813/14 feierten am Niederrhein Kossacken und Preußen den Sieg über Napoleon.

Dennoch erwiesen sich viele Innovationen, die von den Franzosen ausgegangen waren, als langlebig, vor allem hierzulande. Ein Beispiel für mehrere ist das hauptberufliche linksrheinische Notariat. Einen "Notar und Rechtsanwalt" gibt es hier bis heute nicht.

(RP)
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