Interview mit Hans-Joachim Schwabe "Das ist ein Mensch wie du und ich"

Schwalmtal · Hans-Joachim Schwabe engagiert sich in der evangelischen Kirche für Flüchtlinge - daheim in Schwalmtal ebenso wie im Kirchenkreis und in der Landeskirche. Derzeit ist er viel unterwegs. Er berät Initiativen, die neu in die Flüchtlingshilfe starten.

 Hans-Joachim Schwabe aus Schwalmtal ist seit über 30 Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv. Er kennt die Sorgen der Bürger ebenso wie die Sorgen der Flüchtlinge und unterstützt Hilfsinitiativen bei der Gründung.

Hans-Joachim Schwabe aus Schwalmtal ist seit über 30 Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv. Er kennt die Sorgen der Bürger ebenso wie die Sorgen der Flüchtlinge und unterstützt Hilfsinitiativen bei der Gründung.

Foto: Busch

Der Asylkreis der evangelischen Kirchengemeinde Waldniel kümmert sich um die Flüchtlinge in Schwalmtal. In Niederkrüchten haben sich Engagierte zusammengeschlossen, in Brüggen soll die Hilfe am Donnerstagabend auf den Weg gebracht werden. Hans-Joachim Schwabe aus Schwalmtal hat schon viele Initiativen für die Flüchtlingshilfe in der Anfangsphase begleitet. Er engagiert sich in der evangelischen Kirche für Flüchtlinge - daheim, im Kirchenkreis und in der Landeskirche. Er kennt die Sorgen der Bürger und die Sorgen der Flüchtlinge.

Viele Menschen bei uns haben Angst vor dem Unbekannten. Wird die Angst größer, je mehr Flüchtlinge zu uns kommen?

Hans-Joachim Schwabe Im Gegenteil. Je weniger Flüchtlinge es in einer Region gibt, desto größer ist die Angst der Einwohner vor dem Unbekannten. Wenn viele Flüchtlinge da sind und man ihr Gesicht kennt, dann sieht man: "Das ist ein Mensch wie du und ich." Durch den Kontakt zu den Flüchtlingen wächst auch die Hilfsbereitschaft enorm. Viele Menschen fragen sich, was sie tun können, um zu helfen.

Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Probleme der Flüchtlinge hier?

Schwabe Viele sind stark traumatisiert, viel stärker noch als die Flüchtlinge, die in den 1990er-Jahren zu uns gekommen sind. Es gibt eine Ambulanz für Migranten in Süchteln und die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Außerdem brauchen wir Dolmetscher. Für Schwalmtal, Brüggen und Niederkrüchten wollen wir jetzt herausfinden, wo es welche Angebote gibt und wer was macht, aber das, was da ist, reicht bei weitem nicht aus.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Schwabe Alle Kommunen müssen in der Verwaltung mehr Personal für Flüchtlinge haben. Wichtig wäre, dass es in jedem Ort eine hauptamtliche Person gibt, die die Arbeit koordiniert und ehrenamtliche Helfer entsprechend einsetzt. Diese Person wäre das Bindeglied zwischen Verwaltung und Ehrenamtlern. Außerdem müssen die Kommunen Wohnungen finden, und zwar rechtzeitig. Ich kann nicht warten, bis die Menschen vor der Tür stehen.

Die Gemeinden beklagen, dass viele Vermieter ihre Wohnungen nicht an Flüchtlinge vermieten wollen.

Schwabe Das würde ich als Vermieter auch nicht machen. Die Flüchtlinge sind mitunter so plötzlich wieder weg, wie sie gekommen sind - ohne eine Kündigungsfrist von drei Monaten. Und dann steht man da als Vermieter und hat die Renovierungskosten. Warum sollte ein Vermieter das Risiko tragen? Besser ist die Lösung, wie sie jetzt für Schwalmtal gefunden wurde: Da ist die Kommune der Mieter, sie trägt das Risiko. Das kann man als Vermieter machen.

Halten Sie denn Wohnungen für besser als größere Unterkünfte?

Schwabe Auf jeden Fall. Die Gemeinden sollten überlegen, ob sie Wohnungen mieten, bauen oder über Erbbaurecht bauen lassen. In großen Unterkünften hat man auch das Problem, dass dort viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen untergebracht sind, die sich untereinander nicht verständigen können. Das bringt auch Konflikte mit sich.

Mitunter kommt auch der Vorschlag, Flüchtlinge in Privathaushalten unterzubringen - so wie Austauschschüler bei einer Familie Gast sind.

Schwabe Die Familie, die das macht, müssen Sie aber erst mal finden. Solch eine Offenheit dürfte sehr selten sein. Es gibt einige wenige, die dazu bereit sind, doch für die meisten ist es schwierig genug, mit der eigenen Familie unter einem Dach zu wohnen - zum Beispiel mit den Eltern oder Schwiegereltern.

Viele Bürger möchten helfen und fragen, wo sie Decken, Spielzeug oder Kochtöpfe abgeben können.

Schwabe Dazu würde ich nicht raten. Die Menschen nehmen in ihrer Notsituation zunächst alles, aber man muss sehr vorsichtig dabei sein, keine neuen Ungerechtigkeiten zu schaffen. Das Problem sehe ich auch bei Flüchtlingspatenschaften, denn dann bekommt der eine etwas, was der andere nicht bekommt, und es gibt Streit.

Wie machen Sie das mit dem Asylkreis in Waldniel?

Schwabe Im Asylkreis gehen wir in Teams in die Unterkünfte. Zu einem Team gehören idealerweise ein Mann und eine Frau. Wir gucken, wer was braucht, fragen, wo es Probleme gibt, und beraten. Wir erklären auch, wo die Kleiderkammer ist, und dass man zum Beispiel in der Boutique neben dem Kinderdorf Kinderkleidung und Spielzeug erhält. Man sollte auch nicht aus Haushaltsauflösungen alles sammeln, dann hat man das wochenlang in der Garage stehen. Besser ist es, im Gottesdienst oder im Pfarrbrief um die Dinge zu bitten, die jetzt gerade benötigt werden.

Ich kann mir vorstellen, dass es sehr langweilig ist, wenn man monatelang in einer Unterkunft ist, keine Arbeit hat und vielleicht auch niemanden, mit dem man sprechen kann.

Schwabe Ja, das ist besonders für junge Männer oft sehr schwierig. Wenn ich selbst dort wohnen müsste, würde ich nach ein paar Wochen aggressiv oder depressiv. Was jede Aktivität bei den Flüchtlingen hemmt, ist der unsichere Aufenthaltsstatus. Sobald die Aufenthaltserlaubnis da ist, ist die Bereitschaft bei vielen, etwas zu tun, auch da.

Was könnten sie denn machen?

Schwabe Nun, für viele Flüchtlinge ist es enorm wichtig, selbst einkaufen zu können, so dass die Frauen selbst kochen können. Eine Abwechslung bietet donnerstags auch der Deutschkursus. Wir überlegen für Waldniel außerdem, an der Unterkunft am Vogelsrather Weg Gärten anzulegen, so dass die Flüchtlinge dort selbst etwas anbauen können. Darüber hinaus haben die Flüchtlinge oft kein Geld, um irgendwo mitzumachen, zum Beispiel in einem Verein.

Wenn nun ein örtlicher Fußballverein sagt: Ihr könnt bei uns kostenfrei trainieren?

Schwabe Dann fällt zwar der Vereinsbeitrag weg, wenn man das mit den Vereinen so regelt, aber sie brauchen trotzdem Sportkleidung, Schuhe. Das gehört alles dazu.

Wir sprechen so viel über Integration. Müsste man da nicht auch im kulturellen oder sportlichen Bereich die Türen weit öffnen?

SchwabE Integration ist ja erst dann gewollt, wenn die Aufenthaltserlaubnis da ist. Doch je mehr Flüchtlinge zu uns kommen, desto länger wird ihre Aufenthaltsdauer, weil jeder Fall bearbeitet werden muss. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte sind da hoffnungslos überlastet. Und wenn man dann wartet, bis die Aufenthaltserlaubnis da ist, dann sind unter Umständen Jahre vertan, die man hätte nutzen können, um die Menschen zu integrieren.

Was würden Sie empfehlen?

Schwabe Jegliche Bildung, die wir weitergeben, hilft. Wenn junge Menschen hier eine vernünftige Schul- oder Berufsausbildung erhalten, dann ist das ein enormer Integrationsschub, wenn sie hier bleiben. Und wenn sie zurück müssen, profitieren sie auch davon. Mit Kindergarten und Schule funktioniert das relativ gut. Innerhalb weniger Wochen können die Kinder ganze Sätze auf Deutsch sprechen, und sie knüpfen Kontakte.

Was denken Sie, wenn manche sagen: Stopp, wir können nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen?

Schwabe Die EU nimmt 1,1 Millionen Menschen auf, und Deutschland stöhnt schon über 200 000. Ich denke dabei an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hatte Deutschland 30 Millionen Einwohner und acht Millionen Flüchtlinge - das war ein ganz anderes Verhältnis. Was heute an den EU-Außengrenzen passiert, ist mit nichts zu rechtfertigen. In Marokko beispielsweise lassen jedes Jahr tausende Menschen ihr Leben. Es wäre unproblematisch für die EU, diese Menschen aufzunehmen. Und ich glaube, dass die Menschen eigentlich gar nicht bleiben möchten, sondern am liebsten in ihre Heimat zurückkehren würden, wenn die Lage es zulässt.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE BIRGITTA RONGE.

(RP)
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