Reportage Mit dem Bürgerauto durch den Westkreis
Brüggen/Niederkrüchten/Schwalmtal · Mal eben von Brüggen nach Niederkrüchten, um dort etwas zu erledigen, ist kein Problem? Vor der Tür steht ja das Auto. Doch was ist, wenn das eben nicht so leicht geht? Dafür gibt es im Viersener Westkreis das Bürgerauto. Wir sind eine Runde mitgefahren.
Hinter dem Waldnieler Rathaus steht er: der strahlend weiße Citroen Berlingo auf dessen Türen in dicken Buchstaben „Bürgerauto“ geschrieben steht. Am Steuer sitzt heute Fahrer Christof Lenzen. Er wird uns und seine normalen Fahrgäste heute durch die Gemeinden fahren, doch dazu später mehr. Erst einmal muss das Auto von der Wallbox abgestöpselt werden, denn das Bürgerauto fährt voll elektrisch.
Dann kann es in flüsterleiser Fahrt auch schon losgehen. Auf dem Handy ruft Lenzen die Dispo auf. Hier ist vermerkt, wann er wo Leute einladen muss. Unser erstes Ziel des Tages: Das mongolische Restaurant in Brüggen. Hier warten drei Fahrgäste um 13.30 Uhr auf das Auto. Der pensionierte Polizeibeamte startet den Wagen und wir rollen los. Seit zwei Jahren sitzt Lenzen jetzt schon regelmäßig am Steuer des Bürgerautos. „Ich wollte einfach etwas machen und ich finde das Bürgerauto einfach sinnvoll“, erzählt er. Immer wenn seine Frau arbeiten geht, steuert er einen der beiden Wagen, denn in Brüggen, Niederkrüchten und Schwalmtal gibt es den Service gleich doppelt.
Die Kosten für die Bürgerautos teilen sich die drei Kommunen gemeinsam. Betrieben wird der Service vom Verein Jedermannhilfe Brüggen. Die Fahrer und Fahrerinnen sind dort Mitglied und sitzen ehrenamtlich am Steuer. Gedacht sind die Autos für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, die innerhalb der drei Gemeinden kurzfristig von A nach B müssen. „Das sind natürlich viele Senioren, die selbst nicht mehr Auto fahren können“, weiß Lenzen. Er hatte aber auch schon Fahrgäste, die durch eine Operation kurzzeitig nicht mobil waren, aber für eine Untersuchung zum Arzt mussten.
Wir kommen am Brüggener Einkaufszentrum und dem Restaurant an. Dort warten bereits die drei Freundinnen Anke, Marlene und Waltraud. Die rüstige Truppe – alle drei sind jenseits der 80 Jahre – hatte sich am Vormittag von Niederkrüchten hierhin fahren lassen und jetzt geht es wieder nach Hause. „Früher waren wir immer zu viert und unsere Freundin ist nahezu alle Strecken gefahren“, sagt Anke. Doch seit die Vierte im Bunde verstorben ist, sind sie auf das Bürgerauto angewiesen. „Sonst kämen wir doch gar nicht mehr raus“, beklagt Marlene.
Was folgt ist eine sehr heitere Fahrt nach Niederkrüchten. Die drei Damen stecken mit ihrer Fröhlichkeit an, wenngleich eine der dreien meint, das ihre Stimmung auch am Eierlikör liegen könnte, den sie im Restaurant hatten. Ob das stimmt, lässt sich nicht belegen. Über das Bürgerauto und deren Piloten haben sie nur Gutes zu erzählen. „Wir haben nur nette Fahrer“, sagt Anke. Und Waltraud ergänzt augenzwinkernd: „Der erste, der uns blöd kommt, den werfen wir raus und dann fahren wir selbst.“ Lautes Gelächter von der Rückbank bestätigt, dass Christof Lenzen nichts zu befürchten hat.
Am Ziel angekommen zahlt jede der drei ihre zwei Euro für die Fahrt und in einem unbemerkten Moment bekommt Lenzen noch ein Trinkgeld zugesteckt. „So etwas sammeln wir und dann gehen alle Fahrer und Fahrerinnen einmal im Jahr etwas unternehmen“, sagt er. Er freut sich, den Damen geholfen zu haben. Doch der Zeitplan zeigt, dass wir zurück nach Waldniel müssen. Dort wartet diesmal ein Fahrgast auf den Transport.
Heide möchte aus dem Zentrum nach Hause gebracht werden. „Das Bürgerauto ist meine Rettung. Sonst müsste ich hier wegziehen“, sagt sie. Auch sie ist deutlich über 80 und aufgrund einer Gehbehinderung eingeschränkt. Vor einem Monat starb ihr Mann. Der hatte sie früher immer überall hingefahren, doch sie kann es selbst nicht. „Ich fahre aktuell mindestens zweimal pro Woche mit dem Bürgerauto“, erzählt sie.
Innerhalb der Gemeinde kann sie den normalen ÖPNV nicht nutzen und jedes Mal ein Taxi zu rufen, ist auch keine Option. Zu Hause angekommen hat sie noch einen Extrawunsch: „Können Sie mir vielleicht die Haustür aufschließen? Das Schloss klemmt so.“ Kein Problem für Lenzen, der auch beim Aussteigen gerne eine Hand reicht. „Das gehört einfach dazu, wir helfen doch gerne“, meinte er, steigt zurück ins Auto und fährt zum nächsten Fahrgast.
Insgesamt ist das Bürgerauto sehr gut gebucht. Vor allem zu Ärzten, Physiotherapeuten oder auch Seniorentreffs sind die Autos regelmäßig unterwegs. „Irgendwann weiß man genau, wer wohin will“, sagt Lenzen, der durchaus seine Stammgäste an Bord hat. Den Bürgerbus, der früher eine feste Linie hatte, gibt es in den drei Gemeinden nicht mehr. „Am Ende waren es wohl zu wenig Fahrgäste“, sagt Lenzen. Die individuelle Beförderung mit dem Bürgerauto boomt dagegen. Nur eins macht Lenzen Sorgen: „Wir brauchen dringend weitere Fahrer und Fahrerinnen.“ Es reiche schon, wenn jemand einen Vor- oder Nachmittag in der Woche Zeit hätte. Außer einem Führerschein und einem sicheren Fahrstil wird dazu nur ein erweitertes Führungszeugnis benötigt. Da das Bürgerauto nicht gewerblich tätig ist, muss beispielsweise kein Personenbeförderungsschein gemacht werden. „Man muss nur Spaß an der Sache haben“, so Lenzen.