Viersen Darf eine Straße Hindenburg heißen?

Viersen · In der kommenden Woche wird sich der Ausschuss für Stadtentwicklung mit einer schwierigen Frage befassen: Soll die Hindenburgstraße in Süchteln umbenannt werden? Mehr als 200 Anwohner wären davon betroffen

An Paul von Hindenburg scheiden sich die Geister: Für die einen ist er die Heldengestalt des Ersten Weltkriegs und der vom Volk gewählte Reichspräsident der Weimarer Republik. Für die anderen ist er derjenige, der durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler an der Beseitigung der Republik mitwirkte. In seinem politischen Testament, dessen Echtheit als nicht zweifelsfrei geklärt gilt, heißt es: "Ich scheide von meinem deutschen Volk in der Hoffnung, dass das, was ich im Jahre 1919 ersehnte und was in langsamer Reife zu dem 30. Januar 1933 führte (der Tag, als Adolf Hitler die Macht übernahm) zu voller Erfüllung und Vollendung der geschichtlichen Sendung unseres Volkes reifen wird." Darf man diesen Mann ehren, indem man eine Straße nach ihm benennt - oder ist es Zeit, den Straßennamen zu tilgen?

Mit dieser Frage wird sich der Ausschuss für Stadtentwicklung am 14. April befassen. Grundlage ist ein Bürgerantrag auf Umbenennung, der vor knapp einem Jahr gestellt wurde.

Die Hindenburgstraße in Süchteln ist knapp 2300 Meter lang; sie beginnt an der Hochstraße, kreuzt den Westring und reicht bis zur Autobahnauffahrt A61. Von einer Umbenennung wären nach Angaben der Stadtverwaltung zwischen 200 und 300 Menschen betroffen. In den 59 Häusern an der Straße gibt es gut 100 Eigentümer; insgesamt sind knapp 200 Personen dort gemeldet. Bei einer Umbenennung müssten die betroffenen Anwohner ihre Ausweise ändern lassen und ihre neue Anschrift Versicherungen, Banken, Verwandten und Freunden mitteilen. Bei der Adressänderung im Personalausweis entstehen keine Kosten. Die Technische Beigeordnete Beatrice Kamper verweist darauf, dass für Gewerbetreibende eine Adressänderung besonders aufwändig ist. "An der Hindenburgstraße gibt es verschiedene Gaststätten", schreibt sie in ihrer Vorlage für die Ausschusssitzung.

Kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, am 5. Oktober 1917, wurde die damalige Friedrichstraße in Hindenburgstraße umbenannt - wenige Tage, nachdem Hindenburg mit Ernst Ludendorff die faktische Militärdiktatur etabliert hatte. Einen Monat zuvor war in Dülken die frühere Victoriastraße in Hindenburgstraße umbenannt worden. Im Zuge der Kommunalen Neugliederung Anfang der 1970er Jahre wurde sie in Heinz-Luhnen-Straße umbenannt. Im Gegensatz zu Dülken und Süchteln erfolgte in Viersen selbst die Benennung einer Straße nach Paul von Hindenburg nicht noch während des Ersten Weltkriegs, sondern erst in der Zeit des Nationalsozialismus - am 4. September 1936. Es handelte sich dabei um die heutige Carl-von-Ossietzky-Straße, die damals den Namen Am Rathausplatz trug und den Namen Hindenburgplatz erhielt.

Am 30. Januar 1933 hatte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. "Hindenburg hätte mehrere Möglichkeiten gehabt - zumal die NSDAP von den Wahlergebnissen schon auf einem absteigenden Ast war", sagt Christoph Nonn, Professor für Neueste Deutsche Geschichte an der Universität Düsseldorf. "Die NS-Diktatur wäre uns erspart geblieben."

Hindenburg habe bereits bei seiner Wahl zum Reichspräsidenten 1925 beabsichtigt, die Verfassung der Republik nach Möglichkeit schrittweise zu beseitigen. Nach der Machtübernahme betonte Hindenburg, Hitler mache Politik in seinem Sinne der "nationalen Einheit". Wenig später löste er den Reichstag auf, mit dem Ermächtigungsgesetz wurde das Parlament überflüssig. Hitlers Politik einer Entrechtung politisch Andersdenkender und Juden habe Hindenburg bis zu seinem Tod 1934 weitgehend mitgetragen." Der Geschichtsprofessor nennt Hindenburg einen "Totengräber der Demokratie".

(mrö)
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