Viersen "Bei jedem Sieg raste ich aus"

Viersen · Der Fernsehmoderator Joko Winterscheidt wohnt zwar in Berlin, sein Herz schlägt allerdings für die Borussia. Schließlich ist er in Schwalmtal aufgewachsen. Im Interview verrät er, warum er bei Siegen manchmal leise jubeln muss.

 Wenn Joko Winterscheidt in der Heimat ist, zieht es ihn ins Stadion von Borussia Mönchengladbach. Seine beiden Neffen hören ihn dann auch mal fluchen.

Wenn Joko Winterscheidt in der Heimat ist, zieht es ihn ins Stadion von Borussia Mönchengladbach. Seine beiden Neffen hören ihn dann auch mal fluchen.

Foto: privat

Da Sie in der Region aufgewachsen sind, ist es keine Überraschung, dass Sie Borussia-Fan geworden sind. Bestand je die Gefahr, dass Sie Fan einer anderen Mannschaft werden würden?

Joko Winterscheidt Auch wenn ich damit einige Leute schocken werde — als Borussia Dortmund in den 90ern so viel Erfolg hatte, war ich drei Jahre Fan der Mannschaft. Das war die Zeit von Lars Ricken. Dortmund hatte damals einfach ein geiles Team. Aber ich habe die andere Borussia in dieser Zeit nie aus dem Herzen verloren. Und es hat ja auch nicht lange gewährt.

Aber Fan von Borussia Mönchengladbach sind Sie...

Winterscheidt ... von klein auf. Genau. Mein erstes Spiel im Stadion war 1992 das DFB-Pokalhalbfinale gegen Leverkusen. Ich habe mit Tränen in den Augen auf der Tribüne gesessen, weil der Kamps diese Dinger gehalten hat. Selbst meine Schwester, die der größte Borussia-Fan in der Familie war und mich mit ins Stadion genommen hatte, war mit der Situation überfordert, dass ihr kleiner Bruder vor Glück weinte. Bis dahin hatte ich überhaupt nicht gewusst, dass man Elfmeter halten kann.

Haben Sie die Eintrittskarte noch?

Winterscheidt Ich habe zu Hause bei meinem Vater noch eine Kiste stehen mit Devotionalien. Es könnte sein, dass die Karte auch dort drin ist. Ich hatte damals auch eine Wand im Kinderzimmer, an die ich Autogrammkarten gehängt habe. Uwe Rahn hat damals bei uns im Ort gewohnt. Jede Woche sind wir zu ihm und haben nach Autogrammkarten gefragt. Er meinte nur: "Was wollt Ihr denn mit den ganzen Autogrammkarten?" Und wir so: "Ach, für Freunde." Wir haben den Woche für Woche genervt, bis er sagte: "Jungs, ich gebe euch jetzt einfach ein Eis, und dann haut ab." Was dazu geführt hat, dass wir später zu Uwe Rahn gegangen sind, wenn wir ein Eis wollten. Was ich sagen will: Ich habe alles gesammelt, was Borussia anging. Ich hatte auch als Kind ein Borussia-T-Shirt, das ich bis heute aufbewahre, wenn ich irgendwann mal einen Sohn bekommen sollte. Der muss das dann natürlich auch tragen und... wenn ich zu viel rede, bremsen Sie mich...

Nein, nein.

Winterscheidt Ich habe damals selbst Fußball gespielt im Verein, beim SC Waldniel, und wir haben uns damals Spielernamen zugeordnet aus der Zeit. Mein Kumpel Ephraim kam aus Panama, der war dann Martin Dahlin. Ich war Holger Fach. So haben wir uns auch auf dem Platz angesprochen. Ich habe ernsthaft davon geträumt, Fußballprofi bei Borussia zu werden. Es hat leider nicht funktioniert.

Wann haben Sie den Traum aufgegeben?

Winterscheidt Ich war bei meinem Onkel Josef zum Geburtstag und erzählte ganz stolz, dass ich gleich zu meinem ersten Fußballspiel gehe, ich sei Torwart. Als ich wiederkam, wollten alle wissen, wie es war. Ich sagte "18:0." — "Das ist ja toll." — "18:0 verloren!" — "Oh, warst du nicht der Torwart?" — "Jaaa." Dann bin ich Verteidiger geworden. Dann ist der eine nach Dortmund gegangen, der andere nach Uerdingen. Die haben eine Entwicklung gemacht, ich nicht. Ich hatte immer die Fantasie, dass die Nordkurve meinen Namen ruft.

Waren Sie damals regelmäßig im Bökelberg-Stadion?

Winterscheidt Es gab eine Zeit, in der ich mit Freunden zu jedem Freitagsspiel von Borussia gegangen bin. Und natürlich auch häufig samstags. Ich habe nur immer Ärger von meinem Vater bekommen, weil ich in der Nordkurve stand und die ganzen Sprechchöre mitgesungen habe und deshalb total heiser war. Mein Vater meinte dann immer: "Du gehst nicht mehr zum Fußball, du bist immer heiser." Weshalb ich mir dann kleine Lügengeschichten ausgedacht habe, wenn ich freitags mit zum Spiel wollte. Es war nur blöd, wenn ich den letzten Bus nach Hause verpasst habe und mehr oder weniger nach Waldniel laufen musste. Eine zeitlang wollte ich Hooligan werden, aber als ich dann das erste Mal sah, wie die sich prügelten, dachte ich: Das kann doch nicht deren Ernst sein. Das ist ja totaler Schwachsinn.

Das Bökelberg-Stadion gibt es ja leider seit einigen Jahren nicht mehr. Wann waren Sie zuletzt im Nordpark?

Winterscheidt In der Hinrunde gegen Hannover. Ich genieße das jedes Mal, weil ich ja so selten da bin. Wenn ich da mit zwei, drei Freunden oder mit meinem Neffen ins Stadion gehe, ist das für mich so erholsam wie zwei Wochen Urlaub. Da schalte ich ab, werde Mensch, bepöbel den Schiedsrichter. Ich liebe es auch, in der Heimat zu sein, weil es einen so erdet. Never forget where you're coming from, haben Take That gesungen. Ich liebe es, Fan von diesem Verein zu sein.

Was muss passieren, damit Sie in Ihrer Sendung "NeoParadise" ein Borussia-Trikot tragen?

Winterscheidt Wenn wir Meister werden. Dann werde ich auf dem Alten Markt stehen und "Wir schwören Stein und Bein" anstimmen.

Bis dahin sind es ja noch ein paar Monate. Wie verfolgen Sie die Spiele von Borussia, wenn Sie nicht im Stadion sind?

Winterscheidt Dafür habe ich extra Sky abonniert. Ich liebe es, die Spiele im Fernsehen zu sehen. Als de Camargo im Hinspiel der Relegation in der 90. Minute das 1:0 geschossen hat, habe ich die Arme hochgerissen, aber meine Freundin hat nur den Zeigefinger auf den Mund gelegt, im Sinne von: Sei leise, sonst wird unsere Tochter wach. Und ich habe wirklich nicht geschrien, aber ich bin durch die Wohnung gerannt und habe getanzt, und mich haben Leute auf dem Handy angerufen und geschrien "Das ist ja der Hammer!" und ich habe zurückgeflüstert "Ja, ich weiß" und die so "Alter, warum freust du dich nicht?". Worauf ich meinte: "Die Kleine schläft, ich ruf dich morgen an." Ich war der glücklichste Mensch auf Erden. Bei jedem Sieg raste ich komplett aus.

Nun kommt die Borussia praktischerweise nach Berlin. Wo werden Sie das Spiel verfolgen?

Winterscheidt Natürlich im Stadion. Und ich bin mir relativ sicher, dass ich im Mai noch einmal in diesem Stadion sein werde.

Haben Sie keine Angst, dass das Spiel gegen Hertha verlorengeht?

Winterscheidt Überhaupt nicht. Das ist das neue Selbstbewusstsein, dass ein Borussia-Fan mittlerweile haben darf, sagen zu dürfen: Nö, ich glaub, das gewinnen wir. Ich bin sehr sehr sehr sehr sehr optimistisch, dass das funktioniert.

Wo werden Sie den Sieg feiern?

Winterscheidt Das Blöde ist, dass ich ja unter der Woche arbeiten muss. Also werde ich nach dem Sieg vermutlich nach Hause gehen und mich ins Bett legen.

Gibt es denn eine Borussia-Kneipe in Berlin?

Winterscheidt Ja, die FC Magnet Bar (Veteranenstraße 26). Die Spiele werden im Keller übertragen, wo wirklich hartgesottene Fans sitzen. Das ist wie in der Nordkurve. Wenn du pinkeln gehst, dann kleben da noch die Panini-Bilder von Forssell und solchen Leute an der Wand. Das ist also schon seit längerer Zeit eine Gladbach-Kneipe.

Haben Sie Sympathien für Hertha BSC?

Winterscheidt Weil ich hier wohne, lässt sich das nicht vermeiden. Das ist eben der Hauptstadtverein. Es wäre schade, wenn die absteigen würden. Der Verein ist mir wesentlich sympathischer als FC Union.

Berlin ist eine Weltstadt, Mönchengladbach ein... nun ja... regionales Zentrum. Kann Berlin denn irgendwas von Gladbach lernen? Mal abgesehen vom Fußball spielen.

Winterscheidt Ja, dass eine Einkaufsstraße vollkommen ausreicht. Sei die Hindenburgstraße auch noch so hässlich, du gehst einmal hoch, einmal runter, und dann hast du alles, was du brauchst. In Berlin hingegen musst du durch die ganze Stadt rennen. Dieses auseinandergezogene Zentrum macht mich irre. Wenn Berlin sich also eines abgucken könnte, dann die anständige Innenstadt.

Wenn die Sehnsucht nach einer anständigen Innenstadt zu groß wird, könnten Sie ja auch nach Mönchengladbach ziehen und sich dort ein Haus bauen, wo früher das Bökelbergstadion war. Da sind noch Grundstücke frei.

Winterscheidt Ich weiß. Mein Schwager verkauft die. Aber das kann ich nicht. Da würde ich mich fühlen, als ob ich auf dem Friedhof ein Haus bauen würde. Das ist heilige Erde. Eher würde ich das Stadion wieder aufbauen.

(RP)
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