Serie Vor 100 Jahren Bracht regelt Umgang mit seinen Toten

Brüggen · Das Begräbniswesen in der Region hat einen radikalen Wandel erfahren. Wie trauerten die Menschen vor 100 Jahren?

 Der alte Friedhof am Nordwall in Bracht wurde 1855 eingesegnet. Einige alte Grabsteine und das Friedhofskreuz sind noch erhalten. 1936 wurde der neue Friedhof an der Breyeller Straße angelegt, 1965 wurde der alte Friedhof am Nordwall eingeebnet und zum Park umgestaltet.

Der alte Friedhof am Nordwall in Bracht wurde 1855 eingesegnet. Einige alte Grabsteine und das Friedhofskreuz sind noch erhalten. 1936 wurde der neue Friedhof an der Breyeller Straße angelegt, 1965 wurde der alte Friedhof am Nordwall eingeebnet und zum Park umgestaltet.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Ende 1920 wurde in Bracht eine Regelung getroffen, wonach eine Vereinheitlichung in Bezug auf das Waschen, Einkleiden und Einsargen der Verstorbenen festgeschrieben wurde. In den einzelnen Honschaften war das zuvor unterschiedlich geregelt. Bald besorgten es die Angehörigen, bald war es Aufgabe der Nachbarschaft.

Mit der Errichtung des Krankenhauses im Kastell Schleveringhoven waren Ordensschwestern vor Ort, die fortan diese unangenehme Tätigkeit verrichteten, ein Werk der Barmherzigkeit im biblischen Sinne. Eine milde Gabe war alles, was den Schwestern zukam – nichts im Vergleich zu heutigen Bestattungskosten. Das war der Kern dessen, was vor 100 Jahren festgelegt wurde.

Die Brachter Regelung mag Anlass sein, einen Blick zu werfen auf den Umgang mit Sterben, Tod und Beisetzung auf dem Lande am Niederrhein vor nur drei Generationen. Hans Wolters hat das im Heimatbuch 1984 des Kreises Viersen ausführlich dargestellt. Der Tote blieb bis zur Beerdigung im Sterbehaus. Totenbretter, von denen etwa im Freilichtmuseum in Grefrath noch Beispiele vorhanden sind, wurden vor die Haustür gestellt, damit jeder Vorübergehende darauf hingewiesen wurde: In diesem Haus liegt ein Toter.

Zur Abmilderung der mit der Beerdigung verbundenen sonstigen Kosten beschäftigte sich der Brachter Gemeinderat drei Jahre später mit einem Antrag des Ortskartells der christlichen Gewerkschaft, „bei Sterbefällen Unbemittelten Holz aus den Beständen des Gemeindewaldes zur Herstellung von Särgen frei zur Verfügung zu stellen“.

Es waren noch homogene nachbarschaftliche Gefüge, die nicht nur Trauer und Leid teilten, sondern auch einen geregelten Ablauf der kirchlichen Trauerfeierlichkeit garantierten. Wolters berichtete: „Dem ,Nie-es-Nobber’ (in der Regel der erste Nachbar vom Sterbehaus in Richtung Pfarrkirche) oblag die Verpflichtung, am Morgen nach dem Todestag, gewöhnlich zusammen mit dem Küster, das Beläuten des Verstorbenen vorzunehmen. Für den darauf folgenden Abend hatte er die Männer der Nachbarschaft in das Sterbehaus zum ,Wischen’ einzuladen. Hier lagen Schiefertafel und Kreide für die Auslosung der Sargträger, Glockenläuter usw. bereit. Die Nachbarn wurden von den Angehörigen des Verstorbenen bei diesem Zeremoniell mit einem ,Dröpke’ (brauner Kornschnaps) bewirtet.“

Sechs Sargträger wurden aus der unmittelbaren Nachbarschaft ausgewählt. Nach dem „Wischen“ beteten die Nachbarn kniend am offenen Sarg ein „Vater unser“ für die Seelenruhe des Toten. Ernst genommen wurde die Verpflichtung zur Totenruhe; Lärm jeder Art war bis zur Beerdigung verpönt. Auch für das Läuten (elektrische Glockenantriebe setzten sich erst später durch) wurden vier Männer ausgelost. Es war eine schweißtreibende Tätigkeit, die bis zu einer Stunde dauern konnte.

Am Nachmittag nach dem „Wischen“ begaben sich die Nachbarinnen zur Passionskapelle, um für den Verstorbenen die „heiligen fünf Wunden“ zu beten. Dann begaben sich die Frauen ins Sterbezimmer, wo der schmerzhafte Rosenkranz gebetet wurde. Für unverheiratete Verstorbene oder für Kinder gab es einen weißen Sarg. Tote, die verheiratet waren, wurden von verheirateten Männern getragen. Verstorbene Junggesellen wurden von Junggesellen zum Grab getragen. Unverheiratete Frauen und Mädchen trugen Jungfrauen in schwarzem Kleid mit weißem Schleier zum Grab. Den kleinen Sarg eines Säuglings nahm man einfach unter den Arm.

Streng wurde auch auf die Einhaltung der Trauerzeit geachtet. Sie war genau festgelegt. In Bracht trauerten Witwer und Witwe, was durch entsprechende Kleidung bezeugt wurde, ein Jahr und sechs Wochen. 

In geweihter Erde begraben zu werden, und zwar streng nach Konfessionen getrennt, war für jeden Christenmenschen eine Selbstverständlichkeit. Feuerbestattungen, lange ein Hinweis auf eine kirchenferne Einstellung, gab es in den niederrheinischen Dörfern so gut wie nie.

Es gibt wohl wenige Bräuche und Sitten, die sich derart radikal verändert haben. Dabei ist die gewandelte religiöse Einordnung von Tod und Sterben wohl das Ausschlaggebende. War Jahrhunderte der Friedhof der „Gottesacker“, wo man der Toten gedachte und für sie betete, so werden heute auch andere Beerdigungsorte, zum Beispiel im „Friedwald“ unter Bäumen, gewählt. Die alte feste Gemeinschaft zwischen den Toten und jenen Menschen, mit denen sie gemeinsam gelebt hatten, wird aufgegeben. Individualisierung prägt den Umgang mit dem Tod.

Wer die Würde, mit der frühere Generationen den Toten zur letzten Ruhe begleiteten, auf sich wirken lässt, mag sich schwer tun, heutige Praxis für einen Fortschritt anzusehen.

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