Serie Menschen Bei Der Polizei Auch nicht schießen will gelernt sein

Viersen · Regelmäßig müssen 440 Polizisten der Kreispolizeibehörde zum Schießtraining. Dabei geht es nicht nur um den richtigen Gebrauch der Waffe. Auch Kommunikation ist wichtig: So lassen sich brenzlige Situationen oft bereinigen.

 Schießtrainer Tom Breuksch (rechts) erklärt Polizeikommissar Jens Faßbender die richtige Handhabung seiner Waffe. Vor dem Training mit scharfer Munition steht das Training mit der Rotwaffe, die nicht schussfähig ist.

Schießtrainer Tom Breuksch (rechts) erklärt Polizeikommissar Jens Faßbender die richtige Handhabung seiner Waffe. Vor dem Training mit scharfer Munition steht das Training mit der Rotwaffe, die nicht schussfähig ist.

Foto: Busch

Seine Dienstwaffe in beiden Händen und etwa auf Kinnhöhe haltend, läuft Polizeikommissar Jens Faßbender zwischen den Seitenwänden des 25 Meter langen Schießkellers hin und her, um sich aus der Schusslinie zu bringen. Sein Blick und seine Waffe sind auf die große Leinwand an der Stirnseite gerichtet. Immer wieder dröhnen Schüsse durch den Raum — doch die gehen im Lärm fast unter: Laute Musik schallt durch die Lautsprecher. Und als ob das nicht genug Ablenkung wäre, flackert die Leinwand zusätzlich in unterschiedlichen Farben. Darauf die schwarzen Zielscheiben in der Form eines menschlichen Oberkörpers zu treffen, ist gar nicht so leicht. Doch Schießtrainer Tom Breuksch ist mit seinem Schüler Faßbender zufrieden.

Möglichst viele sogenannte Stressoren haben Breuksch und sein Kollege Bernd Nolden, der im Kontrollraum sitzt und die Einschussstellen am Monitor erkennen kann, in diese Übung eingebaut. So soll Jens Faßbender auf den Ernstfall, den Gebrauch seiner Dienstwaffe, vorbereitet werden. Dieser Ernstfall tritt zwar sehr selten ein, aber wenn es doch dazu kommen sollte, müssen die 440 Polizisten im Kreis Viersen vorbereitet sein. Viermal im Jahr muss daher jeder Streifenpolizist für jeweils mindestens eineinhalb Stunden zum Schießtraining. Zweimal im Jahr sind die Kollegen im Innendienst dran. Bei Bedarf wird auch häufiger trainiert. "Die einen kommen gern zu uns, die anderen mögen das Training überhaupt nicht", sagt Polizeihauptkommissar Nolden, der seit 2007 Trainer ist. "Manche Kollegen verlieren mit der Zeit den Bezug zur Waffe, aber die ist im Ernstfall unser Handwerkszeug." Der letzte Gebrauch einer Schusswaffe im Kreis Viersen liegt etwa zweieinhalb Jahre zurück. Damals wurde ein Polizist mit einem Messer angegriffen. Er gab einen Schuss ab und traf den Angreifer dabei ins Gesäß.

Fünf Beamte kümmern sich bei der Kreispolizeibehörde Viersen im Schießkeller und auf den Außengeländen darum, dass die Polizisten sich selbst und andere effektiv verteidigen können — auch der Umgang mit dem Schlagstock (im Behördendeutsch Einsatzmehrzweckstock genannt) gehört dazu. "Die Abläufe müssen so automatisiert sein, dass die Kollegen im Ernstfall nicht mehr darüber nachdenken müssen, was sie tun", sagt Tom Breuksch. Dabei sei es jedoch niemals das Ziel, jemanden zu töten, sondern sich oder andere zu verteidigen. Und auch auf das Nichtschießen wird beim Training großen Wert gelegt. "Häufig lassen sich brenzlige Situationen durch Kommunikation bereinigen", sagt der 41-Jährige — und brüllt in ohrenbetäubender Lautstärke "Waffe runter, Polizei!". Denn auch richtiges Schreien will gelernt sein — zaghaftes Rufen bringt einen in gefährlichen Situationen nicht weiter.

Die Technik des Schießkellers im Gebäude an der Lindenstraße in Viersen ist auf dem neuesten Stand. Interaktive Videosequenzen erlauben ein fast realistisches Training. Eine Sequenz zeigt eine Szene, in der sich der Polizist durch einen Garten bewegt. Plötzlich taucht ein Einbrecher auf, der seine Waffe auf den Beamten richtet. Nun muss der Polizist einen Notwehrschuss abgeben. Trifft er, geht der Einbrecher zu Boden. Schießt er daneben, kommt sein Gegner weiter auf ihn zu. Der Haken der Anlage: Sie kann nur darstellen, was sich unmittelbar vor dem Polizisten abspielt. Daher stehen die Schießtrainer hinter den Beamten und geben schon mal einen leichten Stoß von hinten oder der Seite, um sie abzulenken.

Auch die Ausbilder müssen stets auf dem neuesten Stand bleiben. Deswegen besuchen sie regelmäßig Trainer-Trainings, und in jedem Jahr hospitieren sie für zwei Wochen in anderen Abteilungen — etwa im Streifendienst. Außerdem nehmen sie an Sondereinsätzen wie zu Karneval oder der Räumung der Viersener Innenstadt teil, als eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden wurde. Zudem werden die Trainer selbst alle zwei Jahre geprüft, ob sie noch in der Lage sind, Trainings zu leiten. Nach spätestens acht Jahren ist allerdings für jeden Trainer Schluss. Danach geht es wieder in eine andere Abteilung. Den Schießkeller sehen sie trotzdem regelmäßig wieder — wenn sie selbst zum Training müssen.

(RP)
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