30 Jahre Skulpturensammlung in Viersen Viersens wahre Galerie im Park
Viersen · Ohne sie wäre Viersen für Kunstfreunde aus aller Welt nichts als ein Fleck auf der Landkarte. Ohne sie hätte Viersen kein touristisches Hinweisschild an der Autobahn. Vor 30 Jahren wurden die ersten Skulpturen der einzigartigen Sammlung aufgestellt. Ein Rückblick.
Wenn jetzt am Sonntag das Skulpturlabor zum Jubiläum der Skulpturensammlung eröffnet wird, könnten deren Werke Gesprächsstoff liefern: etwa der in ein Fenster der Galerie manövrierte Wohnwagen von Emil Walde, die frei stehende Feuerleiter von Justyna Janetzek oder die Nacktaufnahmen von Lara Werth und Nadja Winkelmann. Albert Pauly sieht das sehr gelassen. „Diskussionen gehören dazu“, sagt der Vorsitzende des Vereins für Heimatpflege Viersen.
Pauly hat schon viele erhitzte Debatten über Kunstwerke in Viersen erlebt. Seit 38 Jahren ist er Vorsitzender des Heimatvereins. Er hat die Skulpturensammlung mit aufgebaut. Keiner weiß besser als er, dass sie nur durch eine Reihe von Glücksfällen auf die bis heute zehn Plastiken anwachsen konnte.
Der erste Glücksfall war eine Schenkung des in die USA ausgewanderten Viersener Bürgers William Pohl. Damit verknüpft ist ein weiterer Zufall: Pohl wollte die Schenkung für den Erhalt seines Elternhauses an der Lindenstraße verwendet wissen. Der Heimatverein sollte ein Heimatmuseum darin aufbauen. Zur Erweiterung des damaligen Mädchengymnasiums, heute die Gesamtschule, wurde Pohls Elternhaus jedoch abgerissen. Gemeinsam mit Pohls Witwe suchte der Heimatverein eine stimmige Umwidmung: Das Geld sollte der künstlerischen Bereicherung der Stadt dienen.
Gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Joachim Peter Kastner erarbeitete der Heimatverein das Konzept zur Skulpturensammlung. Im September 1989 wurden die drei ersten Arbeiten um die im klassizistischen Stil erbaute Galerie im Park aufgestellt: das „Monument“ von Erwin Heerich, „Kaspar“ von K.H. Hödicke und die „Figur“ von David Lauer. Damit war das Fundament für die Skulpturensammlung gelegt – und das Geld aus der Schenkung ausgegeben.
Trotzdem plante der Heimatverein eine Erweiterung der Sammlung. Er fasste ein Werk von Mark di Suvero ins Auge, den „New Star“. Die aus T-Trägern gefertigte Stahlkonstruktion erhitzte jedoch noch vor ihrer Anschaffung die Gemüter. „Die Leserbriefspalten waren voll“, erinnert sich Pauly. „Da wurden Preise verglichen, wie viel T-Träger im Schrotthandel kosten, und gefragt, ob so etwas überhaupt Kunst sei.“ Eines hat Pauly aus der Debatte von damals gelernt: Über Geld spricht man nicht – weder über Anschaffungskosten noch über Transportkosten.
„Wir hätten uns eine Arbeit von Mark di Suvero niemals leisten können“, sagt Pauly. Aber da kam das Glück erneut zu Hilfe. Die Stiftung Kunst und Kultur NRW (heute Kunststiftung NRW) fand das Projekt so überraschend und so innovativ, dass sie den „New Star“ kaufte und der Stadt Viersen für 30 Jahre zur Verfügung stellte. „Viersen war für die Kunststiftung eine Kleinstadt, und ein Heimatverein beschäftigt sich normalerweise mit Brauchtum. Dass wir aber in Viersen Kunst auf die Straße bringen wollten, das imponierte.“ 1992 wurde der rote Stern auf dem Diergardtplatz vom Künstler selbst der Öffentlichkeit übergeben.
Weitere Glücksfälle folgten: Erwin Heerich schenkte der Stadt weitere Arbeiten, neue Sponsoren kamen hinzu. „Bei jeder Plastik gab es Momente, in denen wir hätten scheitern können“, sagt Pauly.
2018 wurde die derzeit jüngste Arbeit aufgestellt: die „Zirbel“ von Gereon Krebber. Auch sie wurde nicht von allen Bürgern widerspruchslos hingenommen, musste unflätige Vergleiche mit Exkrementen und die Frage über den Sinn der Kunst über sich ergehen lassen.
Doch bei aller Diskussion gehören die Skulpturen inzwischen ins Stadtbild. Wer Kunst sehen möchte, braucht in Viersen dafür nichts ins Museum zu gehen. Die Bürger können sie tagtäglich morgens, mittags, abends und nachts in der Innenstadt erleben. „Interesse und Wertschätzung erlebe ich bei den Führungen und bei Schulprojekten“, sagt Pauly.
Ob die Bronze-Nachbildung einer zusammengeknüllten Zeitung von Wang Du, Anthony Craggs Wirbelsäule oder Günter Haeses Optimus II – die Arbeiten sind grundverschieden. „Das soll so sein“, sagt Pauly. Gemein ist ihnen nur, dass sie von zeitgenössischen Künstlern stammen, die ihre Arbeit bisweilen für den konkreten Aufstellungsort in Viersen entwerfen. Ein einziges Mal habe es bislang einen Fall von Vandalismus gegeben, als ein Drogensüchtiger die kleinen Antennen am Optimus abmontierte und damit einen Schaden von 20.000 Euro anrichtete.
Die Skulpturensammlung hat Viersen weit über NRW hinaus bekannt gemacht. „Durch sie hat die Stadt ihr touristisches Hinweisschild an der Autobahn bekommen“, sagt Pauly. Auch Kunstinteressierte aus aller Welt würden im Internet auf die Stadt am Niederrhein stoßen. Nicht weil sie nach Viersen suchen, aber nach Anthony Cragg zum Beispiel. „Unsere Homepage ist in sechs Sprachen übersetzt“, berichtet Pauly.
Das Jubiläumsjahr nimmt der Heimatverein zum Anlass, über die Zukunft nachzudenken. Da geht es um die Leihgabe „New Star“ von Mark di Suvero. Im Jahr 2022 sind die 30 Jahre um. „Ich bin aber zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden“, sagt Pauly. Aber auch Personal- und Raumfragen stehen an. Der langjährige Berater Kastner hörte auf, und der Park an der Galerie ist voll. „Wir müssen schauen, wo wir sinnvoll neuen Raum finden“, sagt Pauly. Und damit ist noch eines klar: Die Skulpturensammlung ist noch nicht abgeschlossen.
Sabine Janssen