Lesung und Diskussion in Tönisvorst Eindrückliche Schilderungen rütteln auf

St. Tönis · Anlässlich des „Tags gegen Gewalt an Frauen“ hatte die Tönisvorster Gleichstellungsbeauftragte zu einer Lesung aus dem Roman „Das Mädchen auf dem Eisfeld“ eingeladen. Die Schilderungen schockierten.

Die Schauspielerin Günfer Çölgeçen las, begleitet vom Gitarristen Filip Alilovic, aus dem Roman „Das Mädchen auf dem Eisfeld“ von Adelaide Bon. 
   Foto: Norbert Prümen

Die Schauspielerin Günfer Çölgeçen las, begleitet vom Gitarristen Filip Alilovic, aus dem Roman „Das Mädchen auf dem Eisfeld“ von Adelaide Bon. Foto: Norbert Prümen

Foto: Norbert Prümen

Das war eine ganz schwere und stellenweise schwer erträgliche Kost, die den knapp 30 mehrheitlich weiblichen Gästen am Montagabend geboten wurde. Die Schauspielerin Günfer Çölgeçen las, begleitet vom Gitarristen Filip Alilovic, aus dem autobiografischen Roman „Das Mädchen auf dem Eisfeld“ von Adelaide Bon. Am Freitag, 25. November, wird international der „Tag gegen Gewalt an Frauen“ begangen. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Tönisvorst, Helga Nauen, hatte aus diesem Anlass zu einer Lesung in das Forum Corneliusfeld eingeladen. Denn „Das Mädchen auf dem Eisfeld“ schildert die Folgen der Vergewaltigung eines neunjährigen Mädchens.

Bürgermeister Uwe Leuchtenberg begrüßte die Gäste und nannte eine beklemmende Zahl: Im Jahr 2020 starben laut einer Statistik des Bundeskriminalamts 140 Frauen, weil sie von ihrem (Ex-)Partner massive Gewalt erfahren hatten. Leuchtenberg erinnerte daran, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen als angestammtes Recht des Siegers in kriegerischen Auseinandersetzung betrachtet wurde – aktuell ein großes Thema. Nur wenn das Thema in die Gesellschaft gebracht werde, gebe es die Möglichkeit, gegen diese Form von Gewalt anzugehen.

Enttabuisierung, Aufmerksamkeit schaffen – das sind auch die Gründe, warum die Schauspielerin Günfer Çölgeçen und der Musiker Filip Alilovic sich des Themas angenommen haben. Seit einem Jahr präsentieren sie an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen ihre einstündige musikalische Lesung. Im Anschluss bieten sie ein Gespräch und einen Austausch über das Gehörte unter den Zuhörerinnen an.

Adelaide Bon schildert in ihrem Buch „Mädchen auf dem Eisfeld“ mit starken Bildern ihre Situation, für die das Kind und auch die junge Erwachsene lange keine Wort fand. Das Bild der Quallen mit ihren Tentakeln, die in sie eingedrungen sind, zieht sich durch das Buch. Die Autorin wechselt die Perspektive, spricht von sich selbst mal in der ersten, mal in der zweiten Person. Das Mädchen „hat alles, um glücklich zu sein“, und ist es dennoch nicht. Sie „befindet sich im Kriegszustand“. Sie leidet an Essstörungen,Trauer, Scham und Schuldgefühlen, an dem Gefühl, wertlos zu sein. Als sie mit Ende 20 an einem Kolloquium über sexuelle Gewalt teilnimmt, schreibt sie alles mit und bemerkt nicht den Zusammenhang mit ihrer Leidensgeschichte. Hunderte von Therapiestunden helfen nicht. Sie muss 30 Jahre alt werden, um sich ihrer Vergewaltigungserfahrung wirklich bewusst zu werden. Bis dahin hat sie sich „mit dem Täter verwechselt“. „Der Schmutz, das ist er“, stellt das erwachsen gewordene Mädchen fest. Der Täter wird der vielfachen Vergewaltigung angeklagt und verurteilt, aber geht in Berufung.

Es war eine ganz schwere und stellenweise schwer erträgliche Kost – aber es ist notwendig, ihr zuzuhören, sich sensibilisieren zu lassen für das, was gegen Frauen in der Gesellschaft geschieht und die Augen nicht zu verschließen.

„Das Mädchen auf dem Eisfeld“ ist 2019 im Hanser-Verlag erschienen, umfasst 240 Seiten und kostet 22 Euro.

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