Tönisvorst/Linn Soldat zeichnet Motive von der Ostfront

Tönisvorst/Linn · Im Museum Burg Linn sind in der aktuellen Sonderausstellung zum Ersten Weltkrieg auch Kriegspostkarten von Heinrich Dersen aus Tönisvorst zu sehen. Sie entstanden an der Front in Russland.

Das Postkartenmotiv wirkt auf den ersten Blick recht idyllisch: An einem See liegt umgeben von Wäldern das Schloss Medum in Galizien/Polen. Es handelt sich jedoch um eine Momentaufnahme an der deutsch-russischen Front im Ersten Weltkrieg. "Die Postkarte hat Heinrich Dersen wohl aus einem Schützengraben gezeichnet", erklärt Dr. Christoph Reichmann, Leiter des Museums Burg Linn. Die Zeichnung zeigt im Vordergrund den Stacheldraht von Dersens Stellung an der Front im Jahr 1916. Im Hintergrund lässt sich sogar die Grabenanlage der russischen Armee vor dem Schloss erkennen.

Diese und fünf weitere selbst gezeichnete Postkarten von Heinrich Dersen hat das Museums Burg Linn nun als Ergänzung für die aktuelle Ausstellung "1914 - 2014 Erinnerung an den Ersten Weltkrieg" von der Tochter des ehemaligen Soldaten erhalten. Dass Soldaten im Ersten Weltkrieg von der Front Nachrichten in die Heimat auf Postkarten schrieben, ist nichts Ungewöhnliches. Dass ein Soldat aber Blanko-Postkarten selbst illustrierte, ist eine Besonderheit.

Heinrich Dersen wurde 1891 in Viersen geboren und wuchs in St. Tönis auf. Im Ersten Weltkrieg gehörte er als Oberjäger der 77. Radfahrer-Kompanie an. Ob die Postkarte "Gute Fahrt ins neue Jahr. Russland 1915/1916" ihn oder einen Kameraden darstellt, ist nicht klar. Auf der Kopfbedeckung des Soldaten ist zumindest die "77" zu erkennen. Dieses Motiv eines Skifahrenden Soldaten fertigte Dersen als Hektographie an, einer Möglichkeit der Vervielfältigung. "Die anderen Postkarten sind aber Unikate", so Reichmann.

Eine in Blautönen gehaltene Karte zeigt einen Friedhof in einer Winterlandschaft, über den Christus seine Arme ausbreitet. Auf einer anderen, farbigen Karte malte Dersen einen Soldaten, der mit einem Mädchen in einer Tracht eng umschlungen tanzt. Eine "Polnische Wirtschaft" mit Musikern und freudig tanzenden Frauen wählte er für eine Tuschezeichnung. Ebenso aus Tusche ist das Bild einer am Boden liegenden Frau neben einem umgekippten Kruzifix. Mit einer Hand hält sie sich an den Kopf, ob sie verletzt oder tot ist, lässt sich nicht sagen. Ein Kind kauert neben ihr. "Krieg" betitelte Dersen diese Karte aus dem Jahr 1915.

Bis auf das Schloss Medum kopierte Dersen wohl die Bilder nach irgendwelchen Vorlagen, meint Reichmann. Woher die Kunstfertigkeit des Soldaten rührte, konnte der Museumsleiter trotz Recherche bei der über 80-jährigen Tochter von Heinrich Dersen nicht mehr erkunden. Er habe gern gezeichnet und auch gemalt. Obwohl er direkt an der Front war, blieb ihm wohl auch immer wieder Zeit, sich mit dem Zeichnen zu beschäftigen. Und er schätzte seine Arbeit, denn seine kleinen Bilder wollte der Soldat bereits während des Ersten Weltkriegs auf jeden Fall gesichert wissen. Auf einer vermerkte er sogar, man solle die Karte für ihn aufbewahren. "Die Karten sind an unterschiedliche Adressaten gerichtet und zudem alle ohne Briefmarken an ihre Empfänger gelangt. Er hat sie wahrscheinlich in Päckchen versendet", vermutet Reichmann.

Fast 100 Jahre haben sechs seiner Postkarten den Ersten und den Zweiten Weltkrieg überdauert. Einzeln gerahmt hingen sie an einer Zimmerwand in der Wohnung der Tochter. Kurz nach der Eröffnung der Sonderausstellung über den Ersten Weltkrieg im Museum Burg Linn meldete sich Dersens Tochter bei Reichmann und bot die ungewöhnlichen Exponate an, die nun nachträglich in die Ausstellung integriert wurden.

Was Heinrich Dersen während seiner Militärzeit erlebte, wo er noch stationiert war, ließ sich bislang nicht rekonstruieren, er kehrte aber aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Er arbeitete in Krefeld unter anderem für die Maschinenfirma Carl Zangs. Heinrich Dersen starb Ende der 1960er-Jahre in Krefeld.

(RP)
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