Sterbebegleitung in St. Tönis Gesellschaft in den letzten Stunden
St. Tönis · In St. Tönis gibt es sechs Ehrenamtliche, die Sterbende an ihrem Lebensende begleiten. Wie das ist und wie sie selbst damit umgehen, davon berichten die Sterbebegleiterinnen Regine Mündelein und Brigitte Christ.
Das Ende eines Menschenlebens macht sich kurz vorher schattenhaft bemerkbar. Die Gesichtshaut der Menschen verändert sich, wird blasser, die Nase spitzer, die Atmung flacher. Brigitte Christ hat Sterbende in ihren letzten Stunden begleitet und ist sich sicher: „Jeder merkt, wenn er stirbt“, sagt die 71-Jährige, „auch wir anderen spüren das.“
Christ sitzt in Regine Mündeleins Esszimmer, nippt an ihrer Kaffeetasse, dann lachen sich die beiden Frauen wieder an. Mündelein erläutert den vielleicht wichtigsten Punkt ihrer Tätigkeit: „Trauer und Lachen gehören zusammen“, sagt sie, „es geht um Intensität.“
Christ und Mündelein sind zwei der derzeit sechs Ehrenamtlichen, die in der St. Töniser Ortsgruppe des ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienstes der Hospiz-Initiative Kreis Viersen aktiv sind. Die Vorster Ortsgruppe hat sich vor gut fünf Jahren aufgelöst. Im ganzen Kreisgebiet gibt es rund 70 ehrenamtliche Sterbebegleiter. Damit seien sie gut aufgestellt, erklärt Christ. Jedoch liege der Altersdurchschnitt bei 70 Jahren. „Wir suchen immer neue Ehrenamtliche und gerne jüngere.“ Regelmäßig finden Schulungen für Interessierte statt.
Während sich Christ bereits seit fast 20 Jahren in der Initiative engagiert, ist Mündelein noch recht neu dabei. Im September 2018 begann sie die Ausbildung, im Mai schloss sie sie ab. Früh hat sie bemerkt: Das ist nicht für jeden etwas. „Nach den ersten beiden Terminen lichteten sich die Reihen“, sagt Mündelein. Warum sie selbst nicht aufgehört hat? „Es ist eine unglaubliche Bereicherung“, sagt die 58-Jährige. „Man unterhält sich ehrlich und intensiv. Es gibt kein Geplänkel, denn die Person hat ja keine Zeit mehr zu verlieren.“
Wer eine Sterbebegleitung für sich oder einen Angehörigen wünscht, muss sich an die Hospizinitiative wenden. Das sei häufig nicht bekannt, sagt Christ. Manche Ärzte würden zwar eine Empfehlung aussprechen, aber das sei selten. In den meisten Fällen leben die Menschen, auf die Christ und ihre Mitstreiter treffen, bereits im Altenheim. „Dann sind viele zwar bereits krank, aber nicht sterbend“, sagt Christ. Das gibt den Frauen Gelegenheit, die Personen näher kennenzulernen, um dann am Ende besser auf deren Bedürfnisse reagieren zu können. Mündelein erinnert sich: „In einem Fall war die Frau schon nicht mehr ansprechbar. An der Falte zwischen ihren Augenbrauen habe ich aber sofort gemerkt, wenn ihr etwas nicht gefiel.“ Als sie zum Beispiel die CD mit Volksliedern drauf wechselte, weil sie einen Sprung hatte. Mündelein fand ihn störend, die Frau aber beruhigte sich, als die Musik wieder lief. „Man muss achtsam für das sein, was der andere möchte, es kommt nicht darauf an, was man selbst mag“, sagt Mündelein.
Genau das bekäme man auch während der Ausbildung immer wieder zu hören, berichten die Sterbebegleiterinnen. In der Realität bedeute das: Wenn jemand am Ende seines Lebens trotz schwerer Krankheit häufig und viel rauche, „ist das zu gönnen“, sagt Mündelein. „Man muss auch verstehen, dass ein Entzug am Ende eines Lebens nichts bringt. Es geht vielmehr um Lebensqualität, darum, die verbliebenen Stunden mit Leben zu füllen.“
Eine wichtige Eigenschaft eines Sterbebegleiters ist es, sich immer wieder neu auf die Menschen einzulassen. Schließlich wisse man überhaupt nicht, auf wen man treffe. So könne es auch vorkommen, dass Sterbender und Begleiter einfach nicht miteinander zurechtkämen. „Das ist ja durchaus menschlich“, sagt Christ. Dann übernehme ein anderer Begleiter – oder keiner. „Wenn beispielsweise die Familie einen Begleiter für die Person wünscht, die Person das aber gar nicht möchte, dann bringt es auch nichts“, sagt Mündelein. Alle Betreuungsfälle gehen ans Herz, aber manch einer ist besonders tragisch. „Da ist eine Frau um die 40 gestorben, und man sieht das Leid ihrer Kinder“, sagt Christ.
Die 71-Jährige betont: „Man muss die Trauer zulassen und weinen, damit es weitergehen kann.“ Sollte jemand Schwierigkeiten bei aktuellen Fällen haben, könnten sie in der Gruppe besprochen werden. Mit dem Projekt „Hospiz macht Schule“ sollen Grundschüler auf das Thema Sterben und Tod vorbereitet werden. „Auch Kinder verlieren“, sagt Christ, „Großeltern, Eltern, Freunde, Haustiere.“ Um dafür zu sensibilisieren, gibt es für die Sterbebegleiterinnen spezielle Weiterbildungen.
Christ und Mündelein müssen beide nicht lange überlegen, was sie sich für ihr Lebensende wünschen. Sterbebegleitung, „ja, das möchte ich auch“, sagt Christ. Mündelein blickt in ihre Kaffeetasse: „Ganz am Ende wäre mir lieb, allein zu sein.“