„SPD-Bundestagsfraktion im Dialog“ „Agenda 2010 gilt als Sündenfall der Sozialdemokratie“

Vorst · Die Agenda 2010 gelte als Sündenfall der Sozialdemokratie. Mit diesem Einstieg in seinen Vortrag war Ralf Kapschack, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer gewiss.

 Udo Schiefner (stehend) begrüßt seinen Kollegen Ralf Kapschack (2.v.r.) in Vorst, mit dabei Uwe Leuchtenberg (r.) und Michael Lambertz (l.)

Udo Schiefner (stehend) begrüßt seinen Kollegen Ralf Kapschack (2.v.r.) in Vorst, mit dabei Uwe Leuchtenberg (r.) und Michael Lambertz (l.)

Foto: Heribert Brinkmann

In der Reihe „SPD-Bundestagsfraktion im Dialog“ hatte der hiesige Abgeordnete Udo Schiefner zum Thema „Schutz und Chancen“ in das Kulturcafé Papperlapapp in Vorst eingeladen. Und etwa 40 Besucher waren der Einladung gefolgt und sorgten für eine lebhafte Diskussion. Der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Tönisvorst und Vorster SPD-Ratsherr Uwe Leuchtenberg begrüßte in Vertretung für den Ortsvorsitzenden Helge Schwarz die Gäste – und brachte sich gleich ins Thema ein. Er mahnte an, sich mit der Zukunft zu beschäftigen, um in einer sich ändernden Welt gewappnet zu sein. „Solidarität statt Ellenbogen“ bleibe immer das Ziel.

 In der Bundes-SPD weiß man, dass Hartz IV der Partei wie ein Mühlstein um den Hals hängt. Ralf Kapschack, der das Thema faktenreich und unaufgeregt anging, betonte, dass die Agenda 2010 mehr sei als Hartz IV, er wolle das Thema aber auch nicht schönreden. Zu einer ehrlichen Analyse gehöre der Zeitgeist, und der war damals von fünf Millionen Arbeitslosen und „der Entfesselung der Marktkräfte“ geprägt gewesen. Die Bilanz nach 15 Jahren fiel kritisch aus. Deutschland habe heute den größten Niedriglohnsektor in Europa, was bei den zukünftigen Renten zu Problemen führen werde.

Viele Betroffene fühlten sich von den Jobcentern gegängelt. 97 Prozent der Fälle verliefen völlig unproblematisch. Für die drei Prozent ein Sanktionssystem zu unterhalten, das die Unterstützung auf null fahren könne, erschien Kapschack nicht richtig. Er nannte es schizophren, wenn der Staat seine Bürger obdachlos machen könne. Das Hartz-System habe so nicht zu einem Gefühl von Sicherheit geführt, sondern zu einer Bedrohung durch Abstiegsängste. Als Erfolg der SPD bucht Kapschack den Mindestlohn, den es inzwischen gebe. Aktuell gebe es eine breite Diskussion über ein Grundeinkommen. Von einem bedingungslosen Grundeinkommen, das jedem Bürger etwa 1000 Euro beschere, hält er überhaupt nichts. Eher folgt er dem Modell des Berliner Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, der ein solidarisches Grundeinkommen fordert, das ein Recht auf Arbeit mitbeinhalte. In der Diskussion forderte Udo Leuchtenberg, der Staat müsse schneller dafür sorgen, dass Arbeitslose wieder in eine Beschäftigung kämen. Arbeit sei für den Erhalt des Selbstwertgefühls enorm wichtig. Wenn der Staat Arbeitsplätze schaffe, soll er nicht andere Jobs vernichten. Ehrenamtliche Arbeit dürfe nicht staatliche Aufgaben ersetzen. Leuchtenberg nannte explizit das Beispiel der Tafeln. „Es ist unmöglich, dass diese Tafeln überhaupt vorhanden sein müssen.“ Im Rahmen der Digitalisierung entstünden viele neue Tätigkeiten. Wie soll die Arbeit im Homeoffice bei Löhnen und Sozialabgaben behandelt werden? Eine Zuhörerin ergänzte, wie solle bei Home- oder Crowdworking die Mitbestimmung bewahrt werden? Die Diskussion zeigte, der Weg in „ein solidarisches Land“ ist noch ungewiss.

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