Tönisvorst Behindertenlandschaft unter Kostendruck

Tönisvorst · Die Landesbehindertenbeauftragte Claudia Middendorf besuchte das Heilpädagogische Zentrum (HPZ).

 Die Behindertenbeauftragte Claudia Middendorf (5.v.r.) besucht das HPZ, begleitet von den Landtagsabgeordneten Britta Oellers und Marc Blondin (re.).

Die Behindertenbeauftragte Claudia Middendorf (5.v.r.) besucht das HPZ, begleitet von den Landtagsabgeordneten Britta Oellers und Marc Blondin (re.).

Foto: hpz/hpz Christoph Buckstegen

Menschen mit Behinderung sind für viele ein Thema, das im Alltag sehr weit weg ist. Doch mit den Folgen von Burnout oder Schlaganfall kann das Thema auch schnell jeden direkt betreffen. Trotzdem setzt man sich mit dem Thema Leben mit Behinderung nicht gerne auseinander. Dabei ist die bisherige Welt der Arbeit mit behinderten Menschen im Wandel. Aus Kostengründen werden viele bisher gültige Formen der Betreuung, Ausbildung und Beschäftigung in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung hinterfragt. Vordergründig geht es in der Diskussion darum, die geringen Löhne für die behinderten Mitarbeiter anzuheben. Doch was bedeutet das für die Sozialleistungen, für die Renten, auch für die Refinanzierung der Werkstätten? Welche Behinderten können überhaupt den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes gerecht werden?

In dieser schwierigen Gemengelage besuchte Claudia Middendorf, Beauftragte der Landesregierung für Patienten und Behinderte, das Heilpädagogische Zentrum (HPZ). Sie kam auf Einladung der beiden  Landtagsabgeordneten Britta Oellers und Marc Blondin (CDU). Mit  Michael Weber, Geschäftsführer des HPZ Krefeld Kreis Viersen, hatten sie nicht nur einen versierten Kenner der Werkstattszene, sondern als Vorsitzenden der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen in NRW einen überregionalen Gesprächspartner getroffen. Ein Ergebnis: Die Landesregierung wird die Arbeit der Werkstätten weiterhin unterstützen.

In einem intensiven Gespräch lernten die Politiker das große Spektrum einer Werkstatt kennen. Speziell bei Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen reicht es von Personen mit hohem Unterstützungsbedarf bis hin zu vergleichsweise leistungsstarken Menschen, die durch Qualifizierungen fit für die Arbeit auf dem ersten Markt oder einem betriebsintegrierten Arbeitsplatz (BiAp) gemacht werden. Eine Mitarbeiterin, die wegen ihre Schwerstmehrfach-Behinderungen auf einen Rollstuhl angewiesen ist, stellte ihren Arbeitsbereich mit sonderpädagogischer Betreuung vor und betonte, wie wichtig ihr die Chance auf „echte Arbeit“ ist. In Nordrhein-Westfalen gibt es keine Förderstätten für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Dennoch bekommen alle einen Arbeitsplatz angeboten, die ein Mindestmaß an Arbeitsleistung erbringen können. Dieser sogenannte NRW-Weg ist bundesweit einzigartig.

Eine andere Mitarbeiterin des HPZ berichtete, dass sie gemeinsam mit anderen HPZ-Mitarbeitern für ein Krefelder Industrieunternehmen auf einem betriebsintegrierten Arbeitsplatz tätig ist. Dabei wird sie von einem HPZ-Gruppenleiter angeleitet und unterstützt.  Ein weiterer Mitarbeiter arbeitet seit zehn Jahren in dem Erfolgsprojekt zwischen dem HPZ und einem Städtischen Seniorenheim in Krefeld. Eine Gruppe von 24 Personen arbeitet dort geschult und angeleitet durch die HPZ-Gruppenleitung erfolgreich im Schichtdienst. 364 Tage im Jahr entlasten sie das Pflegepersonal durch Assistenz-Dienstleistungen wie zum Beispiel Raumpflege und Anreichen von Speisen. Ein Erfolgsmodell, von dem sich die Politiker an ihrem Nachmittagstermin überzeugen konnten. Die Mitarbeiter betonten, wie wichtig ihnen die Übergangsperspektive in den ersten Arbeitsmarkt ist. Gleichzeitig schätzen sie die Sicherheit, beim Scheitern wieder in die Werkstatt zurückkehren zu können.  Geschäftsführer Weber wies noch einmal darauf hin, dass die Hürden für Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen im Arbeitsmarkt besonders hoch seien:  mit Anforderungen in puncto Fachkenntnissen, sozialen Kompetenzen sowie Arbeitstempo und Multitasking.

 Eine HPZ-Mitarbeiterin mit schwerst Mehrfachbehinderung mit ihrem Assistenten betonte, wie wichtig ihr die Chance auf „echte Arbeit“ ist.

Eine HPZ-Mitarbeiterin mit schwerst Mehrfachbehinderung mit ihrem Assistenten betonte, wie wichtig ihr die Chance auf „echte Arbeit“ ist.

Foto: Christoph Buckstegen

Webers Appell: „Lassen Sie uns im Gespräch bleiben, dass wir gemeinsam an einem transparenten und fairen Entgeltsystem für Menschen mit geistigen Behinderungen arbeiten. Wir werden künftig unsere Übergangsgruppen soweit es in unserer Macht steht weiter stärken. Eine Bitte – vergessen Sie nicht diejenigen Menschen, für die dieser Sprung nicht in Frage kommt. Gerade die brauchen unsere Unterstützung.“

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