Solingen Zentrum zeigt das "Kunstwerk Leben"

Solingen · Im Kunstmuseum wird heute eine Ausstellung zu Medizin, Menschenwürde und Hoffnung eröffnet.

 Das Aquarell "Blick über den Hafen" malte Elfriede Lohse-Wächtler 1929 in Hamburg.

Das Aquarell "Blick über den Hafen" malte Elfriede Lohse-Wächtler 1929 in Hamburg.

Foto: von Bruchhausen/Nachlass der Künstlerin

Ausgegliedert hat Jürgen Kaumkötter, Kurator des Zentrums für verfolgte Künste, innerhalb der Ausstellung "Kunstwerk Leben" die Werke von Elfriede Lohse-Wächtler. Sie sind ab heute im Meistermann-Saal des Kunstmuseums zu sehen - was einer wirklichen Entdeckung gleichkommt. Denn bei Betrachtung der Pastellzeichnungen und Aquarelle stellt sich nämlich tatsächlich die Frage, mit der Jürgen Kaumkötter seinen Text im Katalog zur Ausstellung beginnt: "Warum kennt nicht jeder Elfriede Lohse-Wächtler?"

Der Kurator des Zentrums versucht eine Antwort zu geben: "Die Kunst der Katastrophe, geschaffen in der Zeit des nationalsozialistischen Terrors, ist bis heute im Kunstkanon Europas nicht angekommen." Immer noch ist sie eine Randerscheinung. "Das erklärt ein wenig, weshalb die großartige Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler nicht in allen Sammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts vertreten ist."

Natürlich wurden Werke der Künstlerin bereits ausgestellt, auch gibt es in Hamburg eine Nachlassverwaltung und einen Freundeskreis. Ein Werk von Elfriede Lohse-Wächtler - die Pastellzeichnung "Zur Rechtfertigung" (1930) - findet sich sogar in der Solinger Bürgerstiftung Sammlung Schneider, doch zum ersten Mal wird das Werk der Künstlerin nun so umfassend ausgestellt. "Seit zehn Jahren gibt es schon die Überlegung, das Werk von Lohse-Wächtler hier in Solingen im Zentrum zu zeigen", erzählt Museumsleiter Dr. Rolf Jessewitsch.

Elfriede Lohse-Wächtler wurde 1899 geboren. Sie besucht erst die Fachklasse Mode, ab 1916 die Klasse Angewandte Grafik an der Kunstgewerbeschule in Dresden. Schnell gehört sie zum Kreis um Otto Dix, Conrad Felixmüller und der Dresdner Sezession. 1921 heiratet die Künstlerin den Maler und Sänger Kurt Lohse. Das Paar zieht nach Hamburg. Mehrfach wird sie schwanger, jedes Mal treibt sie wegen Geldmangels ab. Als Elfriede Lohse-Wächtler 1929 erfährt, dass ihr Ehemann mit einer anderen Frau drei Kinder hat, erleidet sie einen Zusammenbruch. Für zwei Monate kommt sie in die Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Friedrichsberg. Hier entsteht die Serie der Friedrichsberger Köpfe, Portraits von Mitpatienten. 1935 wird sie wegen unheilbarer Geisteskrankheit entmündigt und zwangssterilisiert. Anschließend verschwinden die Menschen aus ihrer Kunst und sie malt nur noch Blumen. 1940 wird Lohse-Wächtler in die Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein deportiert und dort am 31. Juli oder 1. August im Keller des Hauses C4 mit Gas ermordet. "Die diabolische Versuchung der Medizin im Nationalsozialismus ging schleichend voran, die Zwangssterilisation und die Ermordung Kranker waren der Anfang", schreibt Jürgen Kaumkötter im Katalog. "Die Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern und die Ermordung mehrerer Millionen Menschen waren das diabolische Ende."

(RP)
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