Türkischer Außenminister Warum Çavusoglu in Solingen auftreten darf

Berlin · Die geplante Rede des türkischen Außenministers sorgt bei jenen für Sorge, die das Gedenken im Mittelpunkt sehen wollen.

Mevlüt Cavusoglu (Archivbild).

Mevlüt Cavusoglu (Archivbild).

Foto: dpa, afn abl

Trotz des Wahlkampfs in der Türkei wird Mevlüt Çavusoglu in Deutschland auftreten dürfen. Die geplante Rede des türkischen Außenministers in Solingen sorgt bei jenen für Sorge, die das Gedenken im Mittelpunkt sehen.

Zum 25. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, wird er dort am 29. Mai sprechen. Im Vorfeld besteht die Sorge, er könne die Veranstaltung auch zu Wahlkampfzwecken nutzen.

Was ist am 29. Mai in Solingen geplant?

Ursprünglich war eine stille Gedenkfeier vorgesehen. Ausrichter sind die türkischstämmige Familie Genc, auf deren Haus der Brandanschlag verübt wurde, die von der türkischen Regierung unterstützte Ditib-Gemeinde, die Evangelische Kirche sowie ein Bündnis für Toleranz und Zivilcourage. Der türkische Außenminister will bei der Gedenkveranstaltung in Solingen eine Rede halten. Offen ist, ob er die Bühne auch dafür ausnutzen wird, Wahlkampf zu machen. "Es ist ein großer Vertrauensvorschuss, den die Landesregierung dem türkischen Außenminister gewährt", sagte Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung. Die gemeinnützige Stiftung unterstützt Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur und hatte vor fünf Jahren die Gedenkfeiern anlässlich des 20. Jahrestages gefördert.

Widerspricht es nicht deutschen Regeln, dass Çavusoglu hier auftritt, während in der Türkei Wahlkampf läuft?

Im Prinzip schon. Nach den harten Auseinandersetzungen um Auftritte türkischer Politiker während des Verfassungsreferendums in der Türkei vor einem Jahr hat Deutschland entschieden, öffentliche Kundgebungen ausländischer Politiker innerhalb von drei Monaten vor Abstimmungen in deren Heimatländern nicht mehr zuzulassen. Der Auftritt des türkischen Außenministers wird aber anders bewertet. "Das ist für uns keine Wahlkampfveranstaltung, denn sie hat einen ganz anderen Hintergrund", betonte Außenminister Heiko Maas (SPD). Die Tat von Solingen vor 25 Jahren gehört zu den schlimmsten rassistischen Verbrechen der bundesrepublikanischen Geschichte. Da will Deutschland es der türkischen Regierung nicht verwehren, an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen.

Hat sich die türkische Regierung auch an früheren Gedenkfeiern in Solingen beteiligt?

Ja, sie war meistens auf konsularischer Ebene beteiligt. "Man muss sich aber die Frage stellen, ob sie so hochrangig auch ohne Wahlkampf in der Türkei vertreten wäre", sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Gökay Sofuoglu unserer Redaktion. Er hoffe sehr, dass Çavusoglu die Veranstaltung nicht nutzt, um Wahlkampf zu machen.

Kann eine Wahlkampfrede Çavusoglus bei der Gedenkfeier verhindert werden?

Eigentlich nicht. Es ist nicht denkbar, dass Sicherheitskräfte einschreiten, wenn der türkische Außenminister die Veranstaltung missbrauchen sollte. Die Gefahr, dass er dies tut, besteht durchaus: Am Wochenende hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan noch erklärt, dass auch im Ausland Wahlkampf gemacht werden solle - ohne dabei bestimmte Länder zu nennen. Erst in der vergangenen Woche hatte er vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen für den 24. Juni angekündigt.

Wie ist es aktuell um das deutsch-türkische Verhältnis bestellt?

Der öffentliche Streit, der vor allem die Jahre 2016 und 2017 begleitete und in Nazi-Beschimpfungen der türkischen Seite gegenüber Deutschland gipfelte, ist abgeflaut. Die Beziehungen aber bleiben sehr schwierig. Insbesondere die Abkehr der Türkei von rechtsstaatlichen Prinzipien erschwerten das Verhältnis. Zuletzt sorgte die türkische Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien für eine weitere Belastung des Verhältnisses. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) umgarnte seinen Amtskollegen Çavusoglu. Ihm gelang es, den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft freizubekommen.

Dass Gabriel Cavusoglu unter anderem zu sich privat nach Haus einlud, stieß auch auf viel Kritik, da es das deutsch-türkische Verhältnis in viel besserem Licht erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit ist. Der neue Außenminister Heiko Maas begegnete gestern am Rande des UN-Außenminister-Treffens erstmals seinem türkischen Amtskollegen. Hinterher hieß es, das Gespräch sei "konstruktiv" verlaufen, was in der Diplomatensprache bedeutet, dass es keinen Streit gab, man die bestehenden Differenzen aber auch nicht ausräumen konnte.

Wie steht die Türkische Gemeinde in Deutschland zur Teilnahme Çavusoglus an der Gedenkfeier?

Die Türkische Gemeinde, die die Regierung in Ankara kritisch sieht, meint, dass man Çavusoglu den Auftritt nicht verwehren könne. Sie beklagt aber grundsätzlich, dass der Einfluss türkischer Politiker die Türken in Deutschland spalte. Sofuoglu wünscht sich die Beteiligung auch deutscher Spitzenpolitiker an der Veranstaltung. "Es ist unser aller Verantwortung, dass sich Solingen nie wiederholt", sagte der Vorsitzende.

(RP)
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