Solingen Von Gräfrath nach Porto Alegre

Solingen · Christoph Kramer ist der erste Solinger, der bei einer Weltmeisterschaft für Deutschland spielt. Beim 2:1 der DFB-Elf im Achtelfinale gegen Algerien kam er erstmals zum Einsatz. Seine Mutter ist stolz auf ihn - und fliegt nun nach Brasilien.

Der 1. Juli war in Deutschland schon 18 Minuten alt, als für Christoph Kramer die Weltmeisterschaft in Brasilien richtig begann. 109 Minuten waren gespielt im Achtelfinale der deutschen Mannschaft gegen die unangenehmen Algerier, als Bastian Schweinsteiger signalisierte: Nichts geht mehr. Der von Krämpfen geplagte Bayern-Star musste raus, er schleppte sich zur Seitenlinie, wo Kramer schon wartete. Der Solinger klatsche mit ihm ab und sprintete auf das Spielfeld. Nun war er mittendrin im Turnier, das er bis dahin nur als Beobachter von der Bank aus erlebt hatte.

Kramer ist der erste Solinger, der bei einer Weltmeisterschaft für Deutschland spielt. Sein Weg führte ihn von den Bambinis des BV Gräfrath über den Nachwuchs von Bayer Leverkusen und den Bundesliga-Kader von Borussia Mönchengladbach ins brasilianische WM-Stadion in Porto Alegre.

Und während sich Kramer aufmachte, für Deutschland zu spielen, saßen Gabriele und Peter Kramer, die Eltern des Borussen, daheim in Meigen vor dem Fernseher und fühlten sich einfach nur gut. "Natürlich sind wir mächtig stolz, dass Christoph jetzt auch gespielt hat", sagte die Mutter der deutschen Nummer 23 gestern. Sie hatte gar nicht mehr damit gerechnet, dass der Filius in Brasilien tatsächlich noch zum Einsatz kommen würde. "Die Chancen wurden ja von Spiel zu Spiel geringer", glaubte sie.

Nun aber sah sie ihren Sohn mithelfen, das Viertelfinale zu erreichen. Fast, ja fast hätte er sogar das 2:0 erzielt. Nach dem hübschen Pass von Thomas Müller stand der 23-Jährige plötzlich frei vor Algeriens Torhüter Rais Mbolhi - schoss diesen aber an. "Ich habe auf den letzten Metern den Mut verloren. Das war nur noch ein Schüsschen", gestand Kramer. Dabei habe er es "eigentlich drauf, den Ball zu lupfen". Nun, auch ohne Tor waren seine ersten zwölf Minuten als aktiver WM-Spieler ein neues Kapitel in der Fußball-Traumreise des Spielers. "Ich bin überglücklich, dass ich meine Minuten bekommen habe. Das ist für mich persönlich weltklasse und war total aufregend", gab Kramer später zu Protokoll. Zuvor indes hat ihn sein Bank-Dasein keineswegs gestört. "Christoph hat sich da überhaupt keinen Kopf gemacht. Er war ja nur als Backup dabei", sagte Gabriele Kramer.

Gleich nach dem Spiel telefonierte die Mutter kurz mit dem Sohn und hörte heraus, dass dieser hochgradig glücklich war - was kaum verwundert. Noch vor einigen Wochen war der Mittelfeldmann kein Thema für das Nationalteam - und jetzt ist er ein Spieler mit WM-Erfahrung. Und je nachdem wie Bundestrainer Joachim Löw den Dienstplan strickt für das Viertelfinale gegen Frankreich in Rio de Janeiro, könnte Kramer, so Philipp Lahm doch wieder Außenverteidiger wird, sogar die Nummer drei sein für das defensive Mittelfeld hinter Schweinsteiger und Sami Khedira.

Bemüht man die Geschichte, könnte Kramer sogar mehr zuteilwerden als das. Vor 40 Jahren kam der Borusse Rainer Bonhof auch erst im vierten WM-Spiel zum ersten Einsatz - und bereitete dann im Endspiel das Weltmeister-Tor durch Gerd Müller gegen die Niederlande vor. Gedankenspiel: Es ist das WM-Finale, es steht 1:1 zwischen Deutschland und Holland und ein Müller schießt das 2:1-Siegtor der Deutschen auf Vorlage eines Borussen, nur dass Thomas Müller die Rolle des "Bombers" Gerd übernimmt und Christoph Kramer die von Bonhof. "Wunderbar, damit wäre ich einverstanden", sagte Gabriele Kramer. "Aber erst mal kommt Frankreich."

Auch für sie beginnt die WM jetzt richtig. "Ich fliege nach Brasilien und schaue mir das Spiel gegen Frankreich an", sagte Gabriele Kramer. Es gibt vom DFB organisierte Reisen für die Familien der Spieler, die (auf eigene Kosten) gebucht werden können. Mama Kramer hofft, wenigstens ein bisschen Zeit mit dem Sohn zu haben. "Aber er hat schon gesagt, dass es eng wird und frühestens nach dem Spiel gegen Frankreich klappen wird", sagte sie. Sie will in Brasilien bleiben, so lange Deutschland im Turnier ist - "hoffentlich bis zum Endspiel". Und hofft natürlich auf weitere Einsatzminuten ihres Juniors. Den Sohn bei einem WM-Spiel im Maracana-Stadion zu sehen - das hat was.

(RP)
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