Solingen Vom Kontorbuch zum Kunstbuch

Solingen · Gleich zwei Ausstellungen widmen sich retrospektiv dem Werk der Künstlerin Susanne Kessler. Das Kunstmuseum zeigt zwei 1983 in Solingen entstandene Künstlerbücher, die Düsseldorfer Galerie Janzen frühe Bilder aus London.

"Das Gelbe und das Blaue Buch" nennt sich eine kleine Präsentation von Susanne Kessler, die bis zum 16. März im Eingangsfoyer des Kunstmuseums zu sehen ist. Entstanden sind die beiden Künstlerbücher vor 30 Jahren. "Während einer einjährigen ,Verschnaufpause' in Solingen, zwischen aufregenden Arbeitsaufenthalten und Stipendien an Orten wie Rom, London und Paris", erinnert sich Kessler. Die Bücher wären ganz im Stillen und Verborgenen entstanden, erzählt die heute in Rom und Berlin lebende Künstlerin. Ihr Atelier hatte sie damals im alten Gräfrather Kloster, dem heutigen Deutschen Klingenmuseum. "Hier stellte ich die Weichen für mein zukünftiges Schaffen."

Nach Abschluss ihres Studiums am Royal College of Art in London, war die Künstlerin 1983 in die Klingenstadt gezogen. Aus einem Solinger Firmennachlass erhielt Kessler zwei große Kontorbücher. "Als ich die Bücher in Händen hielt, überfiel mich ein Schauer, als ich die Daten der ordentlich eingetragenen Listen von Namen, Orten und Einnahmen las. Sie waren aus den Jahren 1935 und 1937/38." Das Lesen der Namenslisten führte Kessler zurück in die finsteren Jahre Deutschlands: "Sie erinnerten mich auch an die sorgfältig geführten Listen der Konzentrationslager".

Kessler entschied, die Kontorbücher "reinzuwaschen" durch das Anmalen gegen die schwere, bleierne Vergangenheit und Bürde. "Ich habe befreiend reinigende Blautöne über die Dateien und feinsäuberliche Tintenhandschrift in Sütterlin fließen lassen", beschreibt die Künstlerin ihre damalige Vorgehensweise. So entstand das Blaue Buch der "Nachtgesänge" voller "visueller melancholischer Melodien, um zu überwinden". Die Bemalungen im Gelben Buch, das den Titel "Und schon wieder habe ich etwas unter der Sonne beobachtet" trägt, handeln dagegen "von der Dualität der menschlichen Existenz und der Naturgewalt, dem Gegeneinander-Arbeiten und Sich-Wieder-Vereinigen". Im Rückblick betrachtet finden sich in den beiden Malbüchern bereits viele Hinweise auf die anstehende Entwicklung Kesslers, die kurze Zeit nach deren Fertigstellung den Schritt weg von der klassischen Malerei auf Leinwand und Papier, hin zu raumgreifenden Konstruktionen vollziehen sollte. "Die Magie und Energie der Bücher beflügelten mich noch im gleichen Jahr, zwei Leinwandbahnen von der Wand zu lösen und bewegt in die Höhe fliegen zu lassen", so Kessler. "Die schwebenden Leinwände übernehmen die Dualität der Bücher, deren Zweiseitigkeit und führen die Malerei in den Raum".

Präsentiert werden die Malbücher Kesslers im Kunstmuseum in zwei Vitrinen. Trotzdem ist es für den Betrachter möglich, durch die 200 Doppelseiten der Kontor-Bücher zu blättern — allerdings nur virtuell in Form von Abbildungen der Seiten auf einem kleinen Monitor.

(mit)
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