Solingen Vergewaltiger: Urteil wird geprüft

Solingen · Heute kommt es am Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Revisionen im Fall Janine. Anklage und Nebenklage wollen den Mann, der 2009 ein 16-jähriges Mädchen als Geisel nahm und vergewaltigte, so doch noch in die Sicherungsverwahrung bekommen. Das Opfer leidet bis heute.

2009: Schwangere entführt und missbraucht - das Urteil
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Es war ein abscheuliches Verbrechen. Im Mai 2009 hatte ein 29-jähriger Solinger eine junge Frau in Wald entführt und tagelang brutal vergewaltigt. Erst als der Täter einmal für kurze Zeit von seinem Opfer abließ, um an einer Familienfeier teilzunehmen, war der damals 16-jährigen Janine die Flucht aus dieser Hölle gelungen. Ihr Peiniger bekam später eine Strafe von zwölfeinhalb Jahren.

Doch Flucht und Strafe sind nur Worte. Wenn heute die Richter des 3. Strafsenats am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über die Revisionen im sogenannten Fall Janine befinden, dann wird – egal wie die Richter am Ende entscheiden – das Opfer immer noch Opfer sein. "Janine hat weiter mit der Tat und den Folgen zu kämpfen", berichtet ihr Opferbeistand Thomas Kämmer von der Kanzlei Joachim mit Sitz in Graal Müritz. Die heute 17-Jährige hat die schrecklichen Erlebnisse bislang nicht verwunden. Und ob es der Solingerin, die nach der Tat diverse Hilfseinrichtungen durchlief, jemals gelingen wird, das Erlebte hinter sich zu lassen und ein halbwegs normales Leben zu führen, erscheint heute fraglicher denn je.

Umso wichtiger ist es da der Familie sowie ihren Rechtsbeiständen, dass der Mann, der so viel Leid brachte, nach der Haft in Sicherungsverwahrung kommt, um Janine sowie andere Frauen vor ihm zu schützen. Allerdings, obwohl ein Gutachter dem Solinger bescheinigte, von ihm gehe eine fortgesetzte Gefahr aus, sah die 4. Große Strafkammer des Wuppertaler Landgerichts bei ihrem Urteil im Oktober 2009 davon ab, ihm neben der Haft auch Sicherungsverwahrung zu verpassen.

Das Problem der Richter: Bevor der 29-jährige Einzelgänger Janine in seiner Wohnung quälte, nahm er das Mädchen als Geisel. Und dieses Kidnapping wirkte juristisch wie eine Klammer um die Vergewaltigungen. Im Klartext: Das Gericht musste die einzelnen Tat-Teile, da sie sich bedingten, zu einer Tat verbinden. Ergo gab es auch nur eine Strafe – und da der Täter noch nicht vorbestraft war, für die Verhängung von Sicherungsverwahrung jedoch mehrere Strafen Bedingung sind, schrammte der Vergewaltiger an einer dauerhaften Verwahrung vorbei.

Ein Urteil, das bei allen Beteiligten einen faden Beigeschmack hinterließ, weil eine zweite Bedingung für Sicherungsverwahrung, die Gefährlichkeit des Täters, ja festgestellt wurde. Folglich gingen sowohl Nebenklage als auch Staatsanwaltschaft in Revision. Ihre Begründung: Die Vergewaltigungen seien so monströs, dass sie nie und nimmer auf einer Stufe mit einer eigentlich "minderschweren" Geiselnahme stünden. Und dementsprechend könne auch keine Gesamtstrafe gebildet werden.

Doch hier liegt das Problem. Bislang sprach der BGH in vergleichbaren Fällen genau in diesem Sinne Recht. Und dies ist eine Position, die anscheinend auch der Generalbundesanwalt vertritt. Jedenfalls, nachdem dieser sich in der Klammer-Frage nicht der Auffassung von Staatsanwaltschaft wie Nebenklage anschloss, weil der Täter so benachteiligt würde, erwarten Beobachter, dass der 3. Strafsenat der Bundesanwaltschaft folgt und an seiner Rechtssprechung festhält. "Diese Begründung wird aus Opfersicht aber als Skandal empfunden", sagte Opfervertreter Kämmer gestern, der vor allem kritisiert, hier habe man eine viel zu täterfreundliche Sichtweise eingenommen.

Gleichwohl soll in der heutigen Hauptverhandlung auch erörtert werden, ob es noch eine andere rechtliche Konstruktion gibt, die zur Aufhebung des Urteils führen kann. Für den Fall jedoch, dass der BGH an seiner bisherigen Rechtssprechung festhält und das Wuppertaler Urteil in Bezug auf die Sicherungsverwahrung nicht aufhebt, kündigte Thomas Kämmer an, direkt eine Initiative zur Änderung der Rechtslage zu starten: "Dann müssen die Politiker in Berlin die Gesetze ändern." Den Vergewaltiger würde dies allerdings nicht kümmern, da er nicht unter eine Neuregelung fiele – und Janine bliebe neben allen schlimmen Erinnerungen die schreckliche Gewissheit, dass ihr Peiniger eines Tages wieder frei käme.

(RP)
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