Solingen Überfall: Verdachtsmomente lösen sich im Wodka-Nebel auf

Solingen · Sadistischer Überfall mit Raub und Flaschenscherben: So stand es in der Anklageschrift. Aber was war es wirklich ? Ein 58-jähriger Solinger wurde verdächtigt, im vergangenen September bei seinem Etagennachbarn eingebrochen zu sein. Er soll Geld gefordert und den Mann nicht nur geschlagen, sondern ihn vor allem mehrfach mit Kopf und Oberkörper in die Scherben einer zertrümmerten Bierflasche gedrückt haben.

Das schwerverletzte Opfer hatte bei seiner polizeilichen Vernehmung eigentlich angegeben, von einem großen, starken und dazu noch unbekannten Blonden drangsaliert worden zu sein. Währenddessen soll eine ebenso unbekannte Frau die Wohnung des 65-Jährigen nach Wertsachen durchwühlt haben. Zwischendurch sollen die Eindringlinge neben ihm gestanden haben.

Dass nun stattdessen mit besagtem Nachbarn ein schmächtiger Grauhaariger bereits seit sechs Monaten in Untersuchungshaft sitzt, hat der wiederum der Spurensicherung zu verdanken. Denn die fand in der Wohnung des Opfers einen einzelnen Pantoffel mit seiner Schuhgröße. Dem Staatsanwalt scheint das offenbar genügt zu haben, um den Mann auf die Anklagebank zu setzen.

Die Vernehmung der Zeugen brachte nun vor allem eines ans Licht: Ungereimtheiten und die Erkenntnis, dass die Tage vor dem vermeintlichen Überfall vor allem durch hochprozentigen Alkohol zusammengehalten wurden. Am feuchtfröhlichen Miteinander beteiligt waren das Opfer, sein bester Freund und ganz kurz auch der später verhaftete Nachbar. Es gab keinen Streit, aber großräumiges Jonglieren mit einem scharfen Fleischmesser nach diversen Wodkas aus Wassergläsern. Als sich die Schärfe des Messers am Daumen des späteren Opfers verewigt hatte, kam Unbehagen auf. Deshalb zog sich der Freund in sein Auto vor dem Haus zurück und schlief erst mal ein paar der Promille weg. Schließlich wollte er am Morgen seinen Job als Schulbusfahrer antreten.

Währenddessen pumpte sich das spätere Opfer mit Schmerztabletten voll und ging schlafen, um erst Tage später wieder klar bei Sinnen zu sein. Und mittendrin also der angebliche Überfall. Wer von den Zuhörern jetzt eine knackige Schilderung des Geschehens erwartete, wurde enttäuscht. Denn das Opfer nahm während der Vernehmung nach und nach alle Beschuldigungen zurück. Drohungen, Geldforderungen und das Durchwühlen der Wohnung: All das und auch der große Blonde und die Frau lösten sich konturlos im Wodka-Nebel auf.

Wo die Verletzungen letztendlich herkamen, konnte noch nicht geklärt werden. Es gab Vermutungen, die den anwesenden psychiatrischen Gutachter interessierten. Ebenso unverständlich blieb die Tatsache, dass Krankenwagen und Polizei erst zwei Tage später durch die Schwester des Opfers alarmiert werden konnten. Weder das Opfer noch dessen Freund hatten dies, trotz der schweren Schnittverletzungen, bis dahin für nötig befunden. Die Erinnerungen der Beteiligten waren bestenfalls bruchstückhaft. In Anbetracht des sich ausbreitenden Szenarios denkt das Gericht nun jedenfalls über Haftaussetzung für den Angeklagten nach. Und die, so der allgemeine Eindruck, scheint auch geboten zu sein.

Die Auflösung des Falls wird sich noch über die beiden kommenden Prozesstage hinschleppen - und möglicherweise wird im Schlussakt aus einem Elefanten eine Mücke. Die Bedeutung des Pantoffels wird bis dahin hoffentlich auch geklärt sein. Bislang jedenfalls handelt es sich um 'ganz großes Pantoffelkino'!

(magu)
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