Prozess am Landgericht Wuppertal Gutachter sieht im Totschlag-Prozess keine Tat im Affekt

Solingen / Wuppertal · Den Angeklagten, der seine Lebensgefährtin getötet und im Schwarzwald verbrannt und vergraben haben soll, erwartet am Dienstag das Urteil.

Sie will mit dem Sohn die Wohnung verlassen. Er will sie daran hindern. Sie rangeln, er legt von hinten den Arm um sie. Der Rechtsmediziner stellt später fest: Es müssen mindestens drei Minuten gewesen sein. Dann sackt die Frau tot zusammen. Er sagt, er habe den Tod seiner Lebensgefährtin nicht gewollt. Mit der Leiche im Kofferraum und dem Dreijährigen im Kindersitz fährt der Solinger in den Schwarzwald. Dort will er sie an einer Lichtung vergraben. Als das nicht gelingt, zündet er sie an.

Vier Tage später fährt er nochmal in den Wald nahe Freudenstadt. Auch diesmal gelingt die „Bestattung“ nicht, wegen der Wurzeln im Boden. Er versucht vergeblich, die verkohlte Frau zu „zerteilen“ und schlägt ihr mit dem Spaten ins Gesicht. Man soll sie nicht erkennen können. Später wird sie ein Pilzsammler finden. Zuhause erzählt der 33-Jährige, das sie ihn und das Kind verlassen hat.

Wie lässt sich eine solche Tat erklären? Am mittlerweile achten Verhandlungstag zeichnet der psychiatrische Gutachter das Bild eines verschlossenen Angeklagten, dem das Leben mit dem Selbstmord des Vaters früh eine traumatische Verlusterfahrung zugemutet hatte. Die Leichtigkeit des Seins scheint verloren gegangen zu sein, der Sachverständige spricht von einer Dysthymie. Gemeint ist damit eine depressive Verstimmung, mit der die Betroffenen häufig allein bleiben.

Der Alltag muss weiterlaufen, während im Inneren das Grauen tobt. So scheint es auch beim Angeklagten gewesen zu sein, der über sich sagt, er sei immer schon ein zurückhaltender Typ gewesen. Aus der Vorschule musste ihn die Mutter abholen, weil er Panik hatte. Freunde waren auch später eher Mangelware: Es gab zwar Menschen um ihn herum, das Miteinander scheint jedoch eher oberflächlicher Natur gewesen zu sein. Er spricht zwar, aber ohne viel zu sagen: Zeugen beschrieben ihn als introvertiert. Was in seiner Seele vorgeht, erfahren sie nicht.

Auch dem Gutachter scheint sich der Angeklagte nicht wirklich anvertraut zu haben. Zumindest nicht so, dass es möglich wäre, sein Tun beim Gerangel an der Schlafzimmertüre zu verstehen. Das Erleben in der Kindheit: Es kann einen Menschen auf ein Gleis stellen, auf dem er sich durchs Leben bewegt. Die Tat erklären lässt sich aus Sicht des Gutachters damit nicht. War das, was sich in der Nacht des 6. September 2021 in der Wohnung des Paars abgespielt hat, eine Affekttat ? Der Sachverständige verneint – das Geschehen sei dafür nicht typisch, es fehle der „Aufbau des Affektsturms“ mit einer sich sichtbar zuspitzenden Beziehungskrise.

Als Prozessbeobachter fragt man sich, wie ein derart emotionsgeladener Ausraster hätte aussehen sollen bei einem Mann, der vor allem die Kontrolle über sich selbst nicht verlieren wollte. Den Aufruhr im Inneren beruhigt er mit Cannabis, um schlafen zu können. Um bei der Arbeit zu „funktionieren“ und die Erwartungen zu erfüllen, wirft er morgens Aufputschpillen ein. Gegen seine Antriebslosigkeit spritzt er sich auf Rat von Ärzten Testosteron. Wenn ihn die wiederkehrenden Depressionen „lahmlegen“, nimmt er sich Urlaub. Keiner sollte wissen, wie es in ihm aussieht. Wie soll man sich einen „Affektsturm“ vorstellen in einem solchen Leben? Vermutlich ging das Gerangel an der Türe und der Würgegriff von hinten schon über die Grenzen dessen, was der 33-Jährige bei sich selbst bislang für möglich hielt. Er wollte seinen Sohn nicht verlieren.

Am kommenden Dienstag soll vor dem Landgericht Wuppertal das Urteil gesprochen werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort