Fachwerkhaus in Solingen Hereinspaziert ins Mittelalter

Solingen · Beim Tag des offenen Denkmals am 11. September stehen die Türen von Solingens ältestem Fachwerkhaus und von zwei weiteren Gebäuden offen.

Marie Güthues und Markus Wolfegg im ältesten Teil ihres Hauses mit den 25 mal 35 Zentimeter dicken Balken des Wehrspeichers.

Marie Güthues und Markus Wolfegg im ältesten Teil ihres Hauses mit den 25 mal 35 Zentimeter dicken Balken des Wehrspeichers.

Foto: Fred Lothar Melchior

Wenn der Satz fällt, dass Geschichtsschreibung zu revidieren ist, denken Skeptiker zuerst an die Hitler-Tagebücher. Bei der Unteren Denkmalbehörde ist man aber 100-prozentig sicher, „dass die Solinger Hausforschung umgeschrieben werden muss“. Von den „sensationellen“ Erkenntnissen können sich alle Denkmal- und Heimatbegeisterten am Sonntag, dem 11. September, überzeugen. Dann führen Marie Güthues und Markus Wolfegg durch ihr Fachwerkhaus Schnitterter Weg 18.

Das Baudenkmal ist heute wie vor gut einem Jahr noch Baustelle. Als die Solinger Morgenpost im Juni 2021 in ihrer Hofschaften-Serie über das junge Paar berichtete, war es nur eine Vermutung: Ein Teil ihres mehrfach umgebauten Hauses sollte aus dem 15. Jahrhundert stammen. Dann brachte eine Bohrkernuntersuchung Gewissheit: Die Eichen, aus denen man die außergewöhnlich dicken Balken des Ursprungsbaus fertigte, wurden 1405 gefällt. Damit stellt der Kern des Hauses „den ältesten nachgewiesenen Profanbau in Solingen“ dar, berichten die städtischen Denkmalpflegerinnen Mona Lohrengel und Karin Nowak. Damals habe man das Holz nicht lange gelagert, sondern im Jahr nach dem Einschlag verbaut. Die ältesten bekannten „Konkurrenten“ des Ohligser Hauses –sie stehen in Unterburg und in der Hofschaft Büschberg (Mitte) – sind rund 150 Jahre jünger.

Das Ohligser Gebäude ist aber doppelt bedeutungsvoll: Die extradicken Balken des ältesten Baukörpers – mit einer Grundfläche von vier mal vier Metern, einer Höhe von neun Metern – sind für die Expertinnen Beleg, dass es sich „ursprünglich um einen freistehenden, mehrgeschossigen Wehrspeicherbau handelte“. Solche Speicher, die Schutz vor Überfällen boten und in denen Lebensmittel gelagert wurden, gibt es auch am Gräfrather Markt und in Obenketzberg. Sie wurden aber aus Stein gebaut. „Ein Wehrspeicher aus Fachwerk stellt eine Besonderheit dar, die wissenschaftlich noch genauer untersucht und eingeordnet werden muss“, sagt Lohrengel. „Wir gehen davon aus, dass er frei in der Landschaft gestanden hat“, ergänzt Nowak.

Später wurde immer wieder angebaut. Im direkt angrenzenden Fachwerkhaus Schnitterter Weg 16, wohl aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, war im Dachgeschoss eine der ältesten Schulen Solingens untergebracht – ein Vorläufer der Schule Heiligenstock. Das dritte Haus in der Reihe (Nummer 14) soll das Haupthaus der Hofschaft gewesen sein.

„Nummer 18 wurde in den 1960er Jahren von meinem Urgroßvater gekauft“, berichtet Marie Güthues, die in Schnittert aufgewachsen ist. Zuletzt gehörte es einer Erbengemeinschaft, deren Begeisterung für das Haus sich aber in Grenzen hielt: Die Nordwand war einsturzgefährdet, das seit 1986 denkmalgeschützte Gebäude nach vielen Umbauten eigentlich eine große Wundertüte. „Das konnte sich keiner wirklich vorstellen“, blickt Güthues zurück. 2020 war sie sich mit Lebenspartner Markus Wolfegg aber einig: „Dann nehmen wir es.“

„Es hat uns gereizt, das Haus wieder schön zu machen“, unterstreicht Wolfegg, der seine Wurzeln im Allgäu hat, wo das Paar auch lebt. Für das „Schönmachen“ eigneten sich die heute 32-Jährigen alte Kenntnisse an. „Wir haben den Umgang mit Lehm gelernt und das Weidengeflecht so gut es ging repariert“, erzählen die beiden. Vorher entfernten sie die zahlreichen Wandverkleidungen und legten auch beim Fundament mit Hand an. Ohne die Expertise von Fachbetrieben ging es aber nicht. Bei der Finanzierung halfen Fördermittel des Landes in Höhe von 140.000 Euro.

Marie Güthues und Markus Wolfegg würden die Arbeiten gerne in diesem Jahr abschließen und in einen Teil des 240 Quadratmeter großen Hauses einziehen. Das historische Gebäude erhält noch eine moderne Luft-Wärmepumpe und eine Fußbodenheizung, nachdem die Fassade samt Fenstern schon erneuert ist. Am kommenden Sonntag müssen Besucher aber noch sehr achtgeben, wohin sie ihre Füße in der Baustelle setzen.

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