Solingen Sternstunde für die Symphoniker und den Solisten

Solingen · Zweites Philharmonisches Konzert mit Matthias Kirschnereit: Extreme Gefühle auf der "Insel der Synkopen".

 Matthias Kirschnereit war vor dem Konzert in der Gesamtschule Solingen zu Gast.

Matthias Kirschnereit war vor dem Konzert in der Gesamtschule Solingen zu Gast.

Foto: Tinter (Archiv)

Hartnäckig, wie ein Diamantbohrer, beißt sich eine Figur der Celli und Kontrabässe durch den orchestralen Untergrund. Synkopen verbreiten Unruhe. Die Atmosphäre am Anfang von Mozarts einzigem Klavierkonzert in d-moll KV 466 ist bedrohlich, Peter Kuhn entkleidet sie an diesem Dienstag aber auch jeder apollinischen Heiterkeit. Und der Pianist Matthias Kirschnereit nimmt den Ball, den die Bergischen Symphoniker und ihr Dirigent ihm zuwerfen, auf. Er wählt für die beiden Ecksätze die Solokadenzen, die Ludwig van Beethoven dazu geschrieben hat und gibt der von Beethoven aufgegriffenen Bassfigur des Anfangs am Flügel ähnlichen Biss: zwei Temperamente sind da hörbar eines Sinnes. Beethovens Kadenzen sprengen in ihrer widerborstigen Modernität fast den Rahmen dieses Mozart-Konzerts - und doch ist es kein Zufall, dass Beethoven ausgerechnet dieses d-moll-Werk so geschätzt hat.

Auf der anderen Seite neigt Mozart hier der Empfindsamkeit des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel zu, und auch diese Dimension bringt Kirschnereit zur Geltung: mit dosierten Rubato-Verzögerungen und Nuancen des Anschlags, die aber auch mit kernigen Akkordfolgen kontrastieren. Das sangliche Seitenthema des Kopfsatzes wird zur Kammermusik-Episode, weil Kuhn es nur von Konzertmeister Kekenj spielen lässt. In der Kadenz dann wieder bedrohliches Bassgegrummel.

Mozarts Ausnahmekonzert wird hier erst recht zu Musik der extremen Gefühle, kulminierend in der zentralen Romanze, die schlicht liedhaft beginnt und endet, sich zur Mitte hin aber immer erregter gebärdet. An ihre Tonart B-Dur knüpft Kirschnereit wieder im zugegebenen "Lied ohne Worte" op. 67 Nr. 3 von Felix Mendelssohn an: dem "Mozart des 19. Jahrhunderts", wie der Solist bei seiner Ansage Robert Schumann zitiert. Und nicht nur das Musizieren zwischen Klavier und Orchester ist in seiner Vitalität beglückend, offenbar auch für die vielen jungen Hörer im Solinger Konzertsaal; Peter Kuhn hat zuvor schon die Sinne dafür geweckt, als er dem Tragischen in der Tragische Ouvertüre von Johannes Brahms mit tiefem Ernst nachspürt - die Melodien düster deklamierend.

Vollends zur Sternstunde gerät das zweite Philharmonische Konzert nach der Pause mit Antonín Dvoráks siebter Symphonie - auch sie in d-moll. Kuhn und die Symphoniker musizieren sie mit einer lebendigen Energie, die den Hörer keine Sekunde gleichgültig lässt. Dabei gelingt ihnen eine Rundung des Klangs und Verblendung instrumentatorischer Registerwechsel, die mit ihren unterschiedlichen Kopplungen auch den Organisten Dvorák hervorkehrt.

Dabei zeigt sich das Orchester von seiner besten Seite. Von den Violinen bis zur ganzen Hörnergruppe, von den Kontrabässen bis zu Posaunen und Pauke werden sie allesamt zu Hauptdarstellern in einem existenziellen symphonischen Drama. Das glücklich in Dur endet.

(um)
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