Baudenkmäler in Solingen Rosette wird (noch) mit Füßen getreten

Serie | Solingen · In der Solinger Stadtkirche am Fronhof gibt es eine Kostbarkeit: die Bodenrosette stammt wohl aus dem zwölften Jahrhundert und soll zum Schutz vor weiteren Schäden tiefer gelegt werden.

Die Umgestaltung der Stadtkirche wurde im Jahr 2015 mit einem Architekturpreis ausgezeichnet.

Die Umgestaltung der Stadtkirche wurde im Jahr 2015 mit einem Architekturpreis ausgezeichnet.

Foto: Peter Meuter

Die Bezeichnung täuscht. Denn „beweglich“ ist das einzige bewegliche Denkmal in Solingen nur, wenn man Hammer und Meißel mitbringt. Bewegt wurde es in seiner langen Geschichte aber schon: Zuletzt während des Umbaus der Stadtkirche in den Jahren 2012 bis 2014. „Vor dieser Rosette habe ich elf Jahre lang geheult“, erzählt Pfarrerin i. R. Jutta Degen, der das Gebäude seit 37 Jahren vertraut ist. Früher hing das auf einen Messingteller geklebte Mosaik nämlich – mehr oder weniger unbeachtet – im Eingangsbereich der 1956 eingeweihten neuen Stadtkirche.

Dabei war die Bedeutung der Rosette bekannt: Man fand sie 1954 bei einer Notgrabung in der während des Zweiten Weltkriegs ausradierten Innenstadt. Nur rund einen Monat hatten der aus Kiel kommende Archäologe Dr. Hermann Hinz und sein Team damals Zeit, am Fronhof zu forschen – dort, wo schon seit Jahrhunderten Kirchen gestanden hatten. An derselben Stelle sollte die neue Stadtkirche errichtet werden.

Unter den Augen der Solinger legte Hermann Hinz unter anderem Fundamente und ein Tuffsteingrab frei. Er fand Heizungskanäle, Bruchstücke von Grabplatten, eine Bronzefigur sowie andere Kleinteile – und eben die Bodenrosette mit einem Durchmesser von knapp einem Meter. Über ihren geschichtlichen Wert war sich der Bauausschuss des Presbyteriums der Kirchengemeinde einig: Die Rosette war ein Anhalt dafür, dass die dreischiffige Pfeilerbasilika, die am Fronhof auf eine mittelalterliche Saalkirche gefolgt war, aus dem zwölften Jahrhundert stammte. Für die Datierung orientierten sich die Fachleute an anderen Kirchen und ihren Rosetten, etwa in Köln.

Genauso, wie die Rosette auf den Messingteller gebettet und mit einem erklärenden Text an die Wand gehängt wurde, hatte der Archäologe sie aber nicht vorgefunden. „Beim Herausnehmen hat ein Arbeiter wohl Teile fallen gelassen und sie dann wieder zusammengepuzzelt“, vermutet Pfarrerin Degen. Während Dr. Horst Sassin vom Bergischen Geschichtsverein in einem Aufsatz betont, dass die Rosette „nur noch in Teilen dem mittelalterlichen Original“ entspricht, ist Degen überzeugt, dass noch alles vorhanden ist, die Mischung aus Steinen und gebrannten Tonfliesen zum Teil aber falsch zusammengesetzt wurde.

Für den Laien wird das besonders an den hellen, ursprünglich wohl weißen dreieckigen Fliesen deutlich. Sie stellen einen Strahlenkranz dar. „Jesus strahlt nach außen“, erläutert Jutta Degen. In der Mitte der ­Rosette bilden die Zwischenräume zwischen vier Dreiecken ein Kreuz. Sassin geht in seinem Text auf die Zahlensymbolik ein, die sich überall in der ­Rosette finde: „Dieser Kreis lässt sich als Nimbus des Gekreuzigten deuten.“ Die Pfarrerin hat es während der Umbauarbeiten der Kirche nach Osten ausgerichtet: „Die Kirche selbst ist es ja nicht.“

Wo andere nur ein Mosaik sehen, erkennt die Kirchenfrau die Symbolik, spricht von den vier Evangelien und den Büchern des neuen Testaments. „Auf der Rosette, die heute zwölf Meter über dem ursprünglichen Niveau liegt, stand früher der Priester und verkündete die frohe Botschaft.“ Heute wird sie, wegen des fehlenden Bewusstseins der Kirchenbesucher, eher mit Füßen getreten oder überrollt. Degen: „Als Heino in der Stadtkirche aufgetreten ist, kam er mit zwei Lastwagen voller Equipment.“

Deshalb stellt sie schon einmal einen Tisch über die Rosette; zu Ostern platziert Küster Mile Nikoloski dort auch gerne eine Kerze: „Wir vermeiden, darüber zu laufen oder darüber zu fahren.“ „Wir müssen die Rosette schützen“, weiß Jutta Degen. Erste Teile seien bereits beschädigt und vielleicht als Souvenir mitgenommen worden. Bei der Umgestaltung der Kirche habe man wegen der Rutschgefahr von einer Glasplatte über der Rosette abgeraten. Heute gebe es aber rutschfestes Glas. Das Problem sei eher das Tieferlegen der Rosette und dessen Finanzierung.

Damit hat die Pfarrerin „in Ruhe“ aber Erfahrung. Sie hat maßgeblichen Anteil daran, dass die EU fünf Millionen Euro an die Stadt überwies, von denen 2,2 Millionen Euro für den fast drei Jahre dauernden Umbau der Kirche gedacht waren. Degen: „Ich habe die Kirche mit einem Reparaturstau von 1,6 Millionen Euro übernommen. Für die Förderung durch die EU habe ich 2500 Seiten gelesen, bearbeitet und Formulare ausgefüllt. Das waren mehr als 60 Ordner.“ Für das Tieferlegen der Rosette habe die ­Landeskirche bereits grünes Licht gegeben.

Der Küster der Stadtkirche, Mile Nikososki, zeigt die rund tausend Jahre alte Rosette. Sie soll zum Schutz tiefergelegt werden.   F  otos: Peter Meuter

Der Küster der Stadtkirche, Mile Nikososki, zeigt die rund tausend Jahre alte Rosette. Sie soll zum Schutz tiefergelegt werden. F otos: Peter Meuter

Foto: Peter Meuter

Die Rosette wird Mittelpunkt des von Jutta Degen erdachten, im Durchmesser elf Meter großen „Labyrinths“ auf dem Boden der Stadtkirche bleiben. „Ich gehe bis heute mit Eltern von Täuflingen das Labyrinth ab. Mit hundert Trippelschritten kommt man bei tausend Jahren Kirchengeschichte an.“

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