Interview: Horst Rosenstock Stadtführer ist Zeuge des Bombenhagels

Solingen · Zum 70. Jahrestag des Angriffes auf die Südstadt am 4. November zeigt Horst Rosenstock (76) die Orte der größten Zerstörung

Wie haben Sie selbst den 4. November 1944 erlebt?

Horst Rosenstock: Ich war zwei Monate zuvor am Dorper Hof eingeschult worden. Als ich an dem Tag zur Schule gehen wollte, kamen mir schon die ersten Kinder entgegen, und ich hörte, dass ein Luftangriff bevorstand. Ich bin dann mit meiner Mutter und meinem Großvater zum nahegelegenen Stadion Dorper Hof gegangen. Als die Flieger kamen, duckten wir uns in eine Schräge. Man sah Bomben fallen. Eine schlug 50 Meter vor uns ein, aber die Druckwelle und das Erdreich gingen über uns hinweg. Nach 18 Minuten war alles vorbei und als wir aufstanden, sahen wir zwei riesige Rauchpilze.

Was ist aus Ihrer Schule geworden?

Rosenstock: Die wurde komplett zerstört. Auch den alten Luftschutzkeller, in dem wir uns zur Übung mehrfach aufgehalten hatten, gab es nicht mehr. Eigentlich hatten die Luftangriffe erst an der Krahenhöhe beginnen sollen, aber durch einen Fehler fielen die ersten Bomben an der Gallappa an der Burger Stadtgrenze.

Der britische Rundfunk meldete damals: "Das Herz der deutschen Stahlwarenindustrie ist eine zerstörte, tote Stadt." Wie lassen sich die Angriffe ein halbes Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs einordnen?

Rosenstock: Die Angriffe galten natürlich der Infrastruktur und Rüstungsindustrie. Die Flak hatten die Nazis bereits ins Ruhrgebiet abgezogen, weil sie dort als wichtiger angesehen wurde. Aber in Solingen gab es rund um den alten Hauptbahnhof 50 Betriebe, zum Beispiel die Waffenfabrik Eickhorn oder auch Kieserling & Albrecht, wo an diesem Tag 80 Menschen starben, unter anderem auch die Gebrüder Robert und Franz Kieserling. Allein im alten Hauptbahnhof gab es 300 Tote.

Dort ist der Startpunkt der Führung, die die IG Stadtführungen insgesamt vier Mal - einmal auch unter Leitung von Hans-Günter Koch - anbietet. Ist eine Anmeldung noch möglich?

Rosenstock: Nein, alle vier Termine im November sind mit jeweils 25 Teilnehmern komplett ausgebucht. Es gibt sogar noch Interessenten auf der Warteliste. Wir überlegen aber, die Führung auch unabhängig vom Jahrestag vielleicht im kommenden Jahr noch einmal anzubieten. Bei Interesse von Gruppen ist das ohnehin grundsätzlich möglich.

Wie steht es um die Altersstruktur der Teilnehmer? Spielen mehr persönliche Erinnerungen oder historisches Interesse eine Rolle?

Rosenstock: Es gibt sicher Teilnehmer, die von Berichten ihrer Mutter oder ihres Vaters erzählen. Vielfach kommen aber auch Menschen, die persönliche Erfahrungen damit verbinden. Bei unseren Führungen ist der Anteil der Generation 55 plus ohnehin sehr groß. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Menschen mit dem Älterwerden gerne etwas aus der Geschichte ihrer Heimat erfahren wollen.

Was ist Ihr eigener Antrieb für die Führungen?

Rosenstock: Ich war schon immer historisch sehr interessiert. Nachdem ich im Jahr 2000 in den Ruhestand gegangen war, nahm ich Aufträge für Führungen an. 2003 absolvierte ich die Stadtführerausbildung, die die Bergische Volkshochschule mit dem Stadtmarketing anbot und wir gründeten mit 20 Teilnehmern die IG Stadtführungen.

ALEXANDER RIEDEL STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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