Solinger soll Lebensgefährtin angezündet haben „Ich weiß, dass ich an allem schuld bin“

Solingen/Wuppertal · Im Totschlagprozess um eine angezündete Frauenleiche wird der Angeklagte zu Details des Tatabends und des folgenden Tages befragt. Der Solinger bricht immer wieder in Tränen aus, besonders wenn es um seinen Sohn geht.

Es sind bedrückende Szenen im Saal 16 des Wuppertaler Landgerichts: Über Stunden hinweg schürft die Schwurgerichtskammer in den Erinnerungen des Angeklagten. „Ich will einfach nur, dass alles wieder normal wird“, hatte der 33-Jährige einer Freundin gesagt. Nur wenige Tage nach dem Tod seiner Lebensgefährtin, den er selbst im September 2021 nach einem Streit durch einen Würgegriff herbeigeführt hat. Der Vorsitzende Jochen Kötter erspart dem Angeklagten und den Prozessbeobachtern im Saal nichts. Gründlich hakt er nach, als es um den Abend geht, an dem die Frau zu Tode kam.

Dazu gehört auch die Vorgeschichte zu einer Tat, von der der Angeklagte sagt, er habe das alles nicht gewollt. Mittlerweile weiß man, dass die Frau einen Freund hatte, den sie heimlich traf. Der Solinger wähnte das spätere Opfer auf der Arbeit – dass sie den Job nicht mehr hatte, erfuhr er erst später in einer Aussprache. Könnte Eifersucht ein Tatmotiv gewesen sein? Es spricht nicht viel dafür. Die Telefonnummer der „Affäre“ war unter dem Namen einer Freundin aus Hamburg abgespeichert. Der Angeklagte hatte offenbar keinen Grund, an der Treue seiner Partnerin zu zweifeln.

Stattdessen scheint ihn etwas anderes umgetrieben zu haben: Man habe jeden Abend gemeinsam gekifft, an diesem Abend habe seine Lebensgefährtin das abgelehnt. Zuvor habe er Pillen in ihrem Rucksack gefunden, neben der Brotdose des Sohnes (3). Er weint, als er davon erzählt. Immer wieder bricht seine Stimme, wenn er über den Jungen spricht. Dass dessen Mutter ihn einfach mitnimmt und verschwindet: Vor allem das sei ihm durch den Kopf gegangen. Die Sache mit den Pillen sei bei ihm der „Kipppunkt“ gewesen, an dem das Kopfkino losgegangen sei. Die Frau im Drogensumpf und mit Kind ohne Geld unter einer Brücke: Das habe ihn umgetrieben, als sie am Tatabend noch mal weg wollte und damit gedroht habe, den Jungen mitzunehmen. Sie will den Dreijährigen aus dem Schlafzimmer holen, er hält sie zurück. Er greift mit seinem Arm von hinten um ihren Hals. Was dann passiert, wurde schon mehrfach in diesem Prozess berichtet, die Kammer will es noch einmal ganz genau wissen. Am Ende wird sie darüber urteilen müssen, ob es Totschlag war oder Körperverletzung mit Todesfolge.

Der Angeklagte spricht von einer Ausnahmesituation, in der er sich befunden habe. Er zieht die Tote ins Wohnzimmer und legt ihren Kopf auf eine Decke. Er versucht, sie mittels Herzdruckmassage wiederzubeleben. Als das nicht gelingt, denkt er darüber nach, sie hinter die Couch zu legen, damit der Sohn seine Mutter nicht sieht. Den Gedanken, die Polizei zu rufen, verwirft er wieder und läuft in der Wohnung hin und her. Dann verschnürt er die Leiche in einem Planschbecken, das er auf dem Balkon findet. Er trägt sie in den VW-Bus und weckt seinen Sohn. In seiner Firma holt er einen Spaten, danach tippt er einen Ort im Schwarzwald im Navi ein und fährt los. Sie verbringen den ganzen Nachmittag auf einem Spielplatz. Als der Dreijährige einschläft, fährt er orientierungslos hin und her.

Ob der Kleine nach seiner Mutter gefragt hat? Die Frage des Vorsitzenden verneint der 33-Jährige und wieder bricht die Stimme, als er über seinen Sohn sagt: „Er hat alles mitgemacht.“ Dass er seelenruhig mit einer Leiche im Kofferraum durch den Schwarzwald gefahren sein will, ohne Angst vor Entdeckung? Auch hier hakt die Kammer nach – vom Angeklagten war dazu zu hören, dass ihm seine fatale Lage die ganze Zeit über bewusst gewesen sei. Er habe seinem Sohn einfach das Gefühl geben wollen, das alles normal sei.

Der Versuch, die Tote zu vergraben, scheitert. Er kippt Benzin darüber, nimmt ein Feuerzeug und zündet sie an. Er flieht vor der Stichflamme und glaubt, dass man ihn verfolgen und anhalten werde. Vier Tage später fährt er erneut  in den Schwarzwald. Es gelingt ihm wieder nicht, die Überreste zu vergraben, er versucht sie mit dem Spaten zu zerteilen. Dann zündet er sie ein zweites Mal an.

Zuhause erzählt er überall, seine Lebensgefährtin habe ihn wegen ihrer Drogenprobleme verlassen. Eine Kita-Erzieherin rät ihm, dem Jungen zu sagen, die Mutter sei im Krankenhaus. Er campiert er mit dem Jungen bei einer Arbeitskollegin, mit der er vor Jahren eine Affäre hatte. Tage später kehrt er zurück in seine Wohnung – neben ihm schläft eine Frau, die er erst wenige Tage vor der Tat beim Sport kennengelernt hatte und die bereits ausgesagt hat. Ihr sagt er, dass er sich wünschen würde, alles sei wieder normal. Er fragt sie auch, ob sie schon mal jemanden umgebracht habe. Vor Gericht sagt er nun, dass er sich irgendjemandem habe anvertrauen wollen und es dennoch nicht konnte. Zu groß sei die Angst gewesen, dass sein Sohn dann ohne ihn werde weiterleben müssen. Das kenne er – aus dem Prozessverlauf weiß man, dass sich der Vater des Angeklagten umgebracht hatte, als der 33-Jährige selbst noch ein Kind war. Auch auf Entdeckung der Tat habe er zwischenzeitlich gehofft, damit endlich alles vorbei sei. „Ich weiß, dass ich an allem schuld bin“, das sagt der Solinger nun auf der Anklagebank. Er weint, wie schon so oft in diesem Prozess.

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