Selbstversuch Ich mach’ mir eine Corona-Pläte

Solingen · 20 Euro gespart, aber zu welchem Preis? Morgenpost-Autor Fred Lothar Melchior mit einem zu späten Plädoyer für die rasche Rückkehr der Friseure.

 Autor Fred Lothar Melchior vor dem Haarschnitt.

Autor Fred Lothar Melchior vor dem Haarschnitt.

Foto: Fred Lothar Melchior

Auch ich war mal ein Jüngling mit lockigem Haar. Allerdings nur einmal – dank Wickler, Haube und fachkundiger Hände. Die Locken habe ich aufgegeben. Die professionelle Hilfe nahm ich gerne weiter in Anspruch – bis Corona kam. Mein letzter Friseurbesuch war im Februar. Ich sehe aus wie ein Waldschrat. Schallt mir deshalb von überall her entgegen: Bitte, bleib zu Hause?

Grübeln zu Hause bringt auf gefährliche Gedanken. Im Internet surfen auch. Eine Glatze, heißt es auf der Homepage von blackbeards, sei inzwischen eine Trendfrisur und kein Bekenntnis zu einer politischen Richtung. „Sie erfordert etwas Mut, hat aber eine umso stärkere Typveränderung zur Folge, und du kannst dich optisch völlig neu erfinden.“

 . . . und danach.

. . . und danach.

Foto: Peter Meuter

In einer Reihe mit Yul Brynner, Bruce Willis und Telly Savalas? Wie hat Kojak immer gesagt: „Who loves ya, baby?“ Wer liebt mich noch mit einer Pläte, wie es auf Solinger Platt heißt? Meine Frau ist skeptisch. Als junger Mann habe ich selbst dagegen gekämpft, dass die Geheimratsecken größer wurden. Ich habe Tabletten und Tropfen geschluckt.

„Flow it, show it; Long as god can grow it, my hair”: Das war meine Hymne aus dem gleichnamigen Musical. Und die anderen konnten sich damit trösten, dass Männer mit Glatze angeblich erfolgreicher, intelligenter, dominanter, selbstsicherer wirken – und wegen ihrer vermeintlichen Virilität mehr Schlag bei Frauen haben.

Werde ich ohne Haare kraftlos wie Samson werden? Oder nur bescheuert wie ein Egghead aussehen? Schneide ich alte Zöpfe ab oder werden meine Freunde kein gutes Haar an der Totaloperation lassen? Was brauche ich überhaupt für das Experiment? Der Blick in die Badezimmer-Schubladen zeigt: Alles da. Neben der „Delfin“-Haarschere aus Solinger Fertigung liegt eine manuelle Schneidemaschine, wie sie die Altvorderen benutzt haben. Außerdem gibt es einen elektrischen Rasierer, einen Langhaarschneider und einen Einweg-Nassrasierer.

Zur Erinnerung ein Foto mit Fell. Und dann ans Werk, bevor der Mut nachlässt. Die ersten Strähnen fallen. Und da hinter jedem starken Mann eine starke Frau steht, ist auch der Nacken kein Problem. Es sei eine Kunst, die Glatze zu glätten, erzählt mir die Wilkinson Sword GmbH auf ihrer Homepage. Aber vor dem letzten Schritt schrecke ich zurück: Der Millimeter, den der Langhaarschneider übriggelassen hat, soll bleiben. Okay: Wenn ich mich richtig erinnere, hat der Mecki bei mir schon als Kind komisch ausgesehen – trotz Friseur. Die Haare waren nicht dick genug. Trotzdem jetzt der neue Versuch: eine Kurzhaar-Frisur à la Friedrich Joloff, als er Oberst Villa in „Raumpatrouille“ spielte.

Die Haarpracht, die sich im Waschbecken gesammelt hat, wiegt laut Waage drei Gramm. Erstaunlich, wie warm drei Gramm halten können. Und wie geht es weiter? Einem Onkel sollen in seiner Kindheit einmal die Haare ratzfatz abgeschnitten worden sein (wegen Läusen?) – nur um danach stärker zurückzukommen.

Der Blick in den Spiegel lässt den Heimwerker erst einmal ratlos zurück. 20 Euro gespart, aber zu welchem Preis? Was kostet ein Toupet? Was eine Haarverpflanzung? Eine halbe Stunde später kommt dann die Meldung, dass die Friseursalons ab dem 4. Mai wieder öffnen dürfen. Können Corona-Viren lachen?

PS: Habe eben den neuen Prospekt von Walbusch mit UV-Schutz Faltkappen bekommen. Woher wissen die das?

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