Serie Gotteshäuser in Solingen Die höchste Kirche - und von außen die schönste

Solingen · Die Lutherkirche an der Kölner Straße ist mit 85 Metern das höchste Gotteshaus in der Klingenstadt.

Impressionen aus der Lutherkirche in Solingen
12 Bilder

Impressionen aus der Lutherkirche in Solingen

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Foto: Hogekamp, Lena (hoge)

Kaum zu fassen. Aber die Lutherkirche und Prinzessin Fiona – Oger-Gemahlin des allseits bekannten Shrek – haben mehr gemein, als man meinen sollte. Die eine Tageshälfte ist Fiona die schönste Prinzessin weit und breit; die andere Tageshälfte ist sie eine grünhäutige Scheußlichkeit, vor der jeder Königssohn davonläuft. So ähnlich verhält es sich mit der Lutherkirche.

„In dieser Baustilrichtung ist sie mit 85 Metern die Höchste und von außen die Schönste“, sagt Hansjörg Schweikhart, Vorsitzender des Bauvereins. „Aber innen hat man sie tot gemacht.“ Die Jugendstilelemente, die die ganze Kirche ausschmückten, wurden Ende der 1950er Jahre rausgeschmissen. An ihre Stelle trat eine nüchterne Sachlichkeit, die selbst in der Kritik steht. „Bildersturm“ nennt das Schweikhart. Nur das markante, sechs Meter lange Abendmahlsrelief des Berliner Bildhauers Wilhelm Haverkamp im Altarraum hat das Geschmacksunwetter überlebt.

 Blick aus dem Fenster des Glockenturms.

Blick aus dem Fenster des Glockenturms.

Foto: Hogekamp, Lena (hoge)

Der Jugendstil in der Lutherkirche hat seinen Grund in der Baugeschichte des Hauses. 1898 war Grundsteinlegung, 1901 Einweihung der damals sogenannten „Neuen Kirche“. Schweikhart: „Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist die Alt-Solinger Bevölkerung sehr durch Zuwanderung etwa aus der Eifel oder dem Westerwald gewachsen. Die Kirchengemeinde Solingen umfasste 1896 rund 30.000 Evangelische und hatte sechs Pfarrämter.“ Allerdings nur zwei Kirchen: die alte Stadtkirche und die Kirche Widdert. Eine neue musste her. Gemeckert wurde schon damals, dass die Lutherkirche zu nahe an der Stadtkirche liege. Aber der Baugrund war günstig. „Die Baukosten beliefen sich auf 450.000 Mark.“ Eine Summe, die auf heutige Verhältnisse schwer umzurechnen ist. Vergleichswert: Die Feuerversicherungssumme der Lutherkirche beläuft sich auf 23 Millionen Euro.

Startschuss für einen in den 1890er Jahren beginnenden Kirchenbauboom war 1880 die „Vollendung“ des Kölner Doms. „Es wurde historistisch gebaut, neogotisch oder neoromanisch“, erläutert Schweikhart. „Die Lutherkirche war dabei ein neuer Prototyp: die Kreuzturmkirche.“ Kreuzförmig ist der Grundriss unter dem gewaltigen Turm. Baumeister der neuen Kirche waren die Architekten Friedrich Adolf Cornehls und Arno Eugen Fritsche. Die sich vom Sockel bis zur Spitze steil aufragende Pyramidenform umschließt das hohe Kuppelgewölbe des Innenraums.

Gegenüber des Altarraumes auf der mittleren der drei Emporen thront die Königin der Instrumente. Die ursprüngliche Orgel wurde Opfer des Krieges: Ein – vermutlich absichtlich unsachgemäß – gesprengter Blindgänger gab ihr den Rest. Die heutige Weyland-Orgel von 1960 ist mit fast 4200 Pfeifen, 53 Registern, drei Manualen und Pedal die größte Kirchenorgel Solingens – und darum ein begehrtes Konzertinstrument.

30 Meter über der Orgel tönt ein anderes Instrument über den Dächern der Stadt: das mehrere Tonnen schwere Stahlgeläute. Alleine die größte der vier Glocken wiegt 2,6 Tonnen. Die Spezialmotoren brauchen über eine Minute, um nur diesem Stahlriesen den ersten Ton zu entlocken. Gestimmt sind die Glocken nach den Anfangstönen des mittelalterlichen „Te Deum laudamus“. Wie überall gibt es eine Ordnung, nach der die Glocken geläutet werden – und Ausnahmen: So donnerte es im März 1938 Proteststurm vom Turm, als Pastor Martin Niemöller (Bekennende Kirche) von der Gestapo ins KZ gebracht wurde.

Der Sockel der Kirche besteht aus Basalt, die Außenwände aus Grauwacke: Dadurch erhält der Bau Schwere und das angestrebte Ansehen der Wehrhaftigkeit. Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ steht über dem Eingangsportal. Die Architekten meinten: „Möge seine feste Burg in Wahrheit eine Stätte der Zuversicht und Erbauung sein.“ Zuversicht war auch nötig. Nach Kriegsschäden und Renovierungen machte immer wieder die Feuchtigkeit im Gemäuer Sorge: Konstruktionsfehler.

Ende 1991 wurden schwere Schäden im gesamten Fassadenbereich festgestellt. Selbst der Gedanke an Abriss des seit 1988 als Denkmal festgeschriebenen Gotteshauses stand im Raum. „Die Kirche musste gemacht werden – aber nicht aus Steuergeldern“, erinnert sich Schweikhart. 7,5 Millionen Mark kostete die Sanierung bis 2001. Mittel kamen vom Land, der Landeskirche, dem Kirchenkreis und natürlich aus der Gemeinde.

Dazu wurde 1994 der Lutherkirchen-Bauverein gegründet. „Alleine für die pure Bauunterhaltung müssen wir jährlich rund 70.000 Euro aufbringen. Und das wird immer schwerer“, erklärt der Vorsitzende. Spenden, Beiträge und Veranstaltungen wie etwa Konzerte oder die Turmbesteigungen stemmen das große Projekt, das nun in den dritten Bauabschnitt geht: Sanierung des Eingangsbereiches sowie der wetterabgewandten Außenseiten. „Wenn die Kirche langsam ausgetrocknet ist, kann in zwei bis drei Jahren mit der Innengestaltung begonnen werden. Ziel ist es, soviel vom ursprünglichen Sinn des Innenraums zurückzuholen. 2015 haben wir an den Emporenbrüstungen nachgeguckt, was noch unter dem Putz ist.“ Da fanden sich Jugendstilschnitzwerke – zum Teil brutal abgehakt.

Bisher noch nicht geöffnet wurde  der Triumphbogen über dem Altarraum. Für Schweikhart besteht die Befürchtung, dass man da einfach Beton draufgeklatscht hat. Auch anderes ist als Original verloren: „Altar, Taufbecken, Kanzel und Gestühl wurden regelrecht rausgehackt.“ Das wird eine Mammutgeschichte. „Für Elektrik oder Heizung gibt es Zuschüsse. Bei der Schönheit wird es schwieriger.“ Aber die wehrhafte Prinzessin soll auch von innen schön – und möglichst original – werden. Dazu gibt Hoffnung, dass auch viele Spender nicht alleine aus der Gemeinde kommen. Schweikhart: „Die Lutherkirche ist eben ein städtebauliches Highlight, das dem Stadtbild Gepräge gibt.“

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