Solingen Solingens Kriegs-Erbe bleibt gefährlich

Solingen · Die tödliche Explosion in Euskirchen zeigt, wie alltäglich die Gefahr von Weltkriegsbomben ist. In Solingen ist sie besonders groß, denn die Industrie-Stadt war mehrfach Ziel zerstörerischer Angriffe alliierter Bomberflotten.

 Bombenentschärfung am Piepersberg Anfang September 2012. Die Fliegerbombe wurde bei Ausschachtungsarbeiten entdeckt.

Bombenentschärfung am Piepersberg Anfang September 2012. Die Fliegerbombe wurde bei Ausschachtungsarbeiten entdeckt.

Foto: Mak (Archiv)

Gerade mal zwei Tage, am Wochenende des 4. und 5. November 1944, brauchten alliierte Luftverbände, um Solingens Innenstadt in Schutt und Asche zu legen. "Bis auf ein oder zwei Häuser ist nichts stehen geblieben", sagt Stadtarchivar Ralf Rogge. Es waren überwiegend Brandbomben, die auf viele im Fachwerkbau gefertigte Wohnhäuser niedergingen. Innerhalb kürzester Zeit brannte Solingens Zentrum lichterloh. Der Schaden war immens, der Blutzoll groß: Insgesamt etwa 2000 Menschen, so schätzt Rogge, starben an den Folgen von Luftangriffen. Zwei weitere größere Bombenattacken sollten folgen: In der Silvesternacht desselben Kriegsjahres wurde der Stadtnorden mit Gräfrath, Wald und dem angrenzenden Vohwinkel schwer getroffen. Am 16. Februar 1945 ging ein Bombenregen über dem Rüstungsbetrieb Rautenbach in Mangenberg nieder.

Das zerstörerische Weltkriegserbe wirkt weiter, in der Industriestadt Solingen sind Blindgängerfunde aus dieser Zeit häufig. Anfang Februar 2013 war auf einem Baugrundstück im Gewerbegebiet Piepersberg eine 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe bei Ausschachtungsarbeiten entdeckt worden, die zweite innerhalb eines halben Jahres. Für größeres Aufsehen sorgte die Bombenentschärfung an Klingenhalle Ende April 2010. Ein Blindgänger war Baggerführer Frank van Geffen von der Schaufel gefallen, als er 20 Meter von der Klingenhalle entfernt Erde ausgehoben hatte. Van Geffen hatte Glück, denn anders als in Euskirchen, kam es nicht zu einer Explosion. Die Folgen wären nicht absehbar gewesen. Rund 300 Menschen mussten im Juni 2008 aus ihren Häusern rund um den Hauptbahnhof in Ohligs evakuiert, der Zugverkehr vorübergehend eingestellt werden, nachdem dort eine 125 Kilo schwere amerikanische Splitterbombe gefunden worden war.

Wie umfassend die Gefahr durch Altlasten des Krieges auch heute noch ist, ist schwer abzuschätzen. "Es können nahezu überall auf dem Stadtgebiet Bomben liegen", ist Stadtarchivar Rogge überzeugt. Denn anders als es heute möglich und üblich ist, setzte die damalige Kriegführung der Alliierten auf Flächenbombardements, die keineswegs nur Rüstungsbetrieben und Infrastruktur wie Bahnhöfen, Straßen oder Gleisanlagen galten. Auch hätten Bomberpiloten ihre todbringende Last in Notsituationen oder einfach nur, weil sie diese nicht wieder mitnehmen wollten, wahllos verteilt und mitunter über Äckern und Wäldern niedergehen lassen.

Eine Art Bombenkataster für Solingen gibt es also nicht, bestätigt auch Stadtsprecherin Birgit Wenning. Mögliche Rückschlüsse, auf welchen Arealen der Stadt Bomben abgeworfen wurden, lassen sich allenfalls über alliierte Luftbilder ziehen, die damals bei Angriffsflügen angefertigt wurden. Über 230 000 solcher Bilddokumente verfügt der Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung. Bauherren können über die zuständigen Ordnungsbehörden dort einen Antrag auf kostenlose Luftbildauswertung stellen. Nach etwa vier Wochen bekommen sie Antwort, ob ihr Areal besonders durch mögliche Blindgänger gefährdet ist oder nicht. Der Kampfmittelräumdienst empfiehlt gegebenenfalls der örtlichen Behörde eine genauere Untersuchung der Fläche. Die Entscheidung trifft dann die Ordnungsbehörde.

(RP)
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