Régis Noël im Interview Wenn die Kunst einen Mundschutz trägt

Solingen · Das Vorstandsmitglied des Güterhallen-Vereins in Solingen spricht über brotlose Kunst, abgesagte Veranstaltungen wie das Südpark-Fest sowie Hilfe aus der Bevölkerung und von Firmen.

 Die Corono-Krise lässt sich eher in einem Roman als in einem Bild einfangen, sagt Régis Noël. Ein Bild hat er aber trotzdem gemalt.  Foto: Melchior

Die Corono-Krise lässt sich eher in einem Roman als in einem Bild einfangen, sagt Régis Noël. Ein Bild hat er aber trotzdem gemalt. Foto: Melchior

Foto: Fred Lothar Melchior

Am Wochenende hätte das Güterhallenfest stattfinden sollen. Wird es in diesem Jahr ganz ausfallen, oder wird es in den Herbst verschoben?

Noël Das Fest ist ersatzlos gestrichen. Im Herbst würde es ja auch mit unserer eigenen Lichternacht konkurrieren. Wir haben immer so tolle Feste gemacht, zu denen viele Leute kamen. Aber heute kann man schlecht planen. Die Gräfrather Lichternacht ist beispielsweise schon abgesagt.

Sie haben ein Bild gemalt, auf dem eine Frau mit Smiley-Gesicht und Mundschutz zu sehen ist. Folgen weitere Corona-Bilder?

Noël Für mich ist Kunst wie ein guter Witz. Es gibt gute und geistvolle, aber auch schlechte und platte Witze sowie Witze, die zum Nachdenken anregen. Kunst hat eine Sprache, die direkt trifft. Bei Corona ist die Botschaft aber zu komplex, ein Bild wäre zu klein dafür. Man müsste einen Roman schreiben. Es ist eine Situation, wie wir sie noch nie erlebt haben.

Eine Situation, die existentielle Fragen aufwirft. Ihr Jahresthema ist ja „Die Güterhallen sehen ROT“. Dabei haben Sie sicher nicht an rote Zahlen gedacht.

Noël Alles, was Geld bringt, war plötzlich weg. Seit Mitte März war alles nicht mehr möglich: Ich kann keine Kurse geben, kann nicht als Schnellzeichner bei Geburtstagen, Hochzeiten, Firmenevents oder anderen Veranstaltungen arbeiten. Das ist zurzeit alles nicht umsetzbar.

Wie kommt dann überhaupt noch Geld ins Haus?

Noël Ich male sehr gerne Menschen. Viele Leute wollen sich von mir porträtieren lassen. Interessenten können beispielsweise ein Foto als Vorlage per E-Mail schicken. Ich habe mit Hilfe meines Steuerberaters auch einen Antrag gestellt und eine Liquiditätshilfe bekommen. Es wäre dramatisch, wenn ich die Miete für Atelier und Wohnung nicht mehr zahlen könnte. Ich erinnere mich gut daran, wie ich in den leeren Güterhallen mit Kreide die Fläche markiert habe, die ich mieten wollte. Und wie wir dann alles selbst ausgebaut haben.

Die gemeinsamen Anfänge müssen die Künstler im Südpark zusammengeschweißt haben.

Noël Die gemeinsamen Erfahrungen halten den Kern sehr stark zusammen. Die Güterhallen waren wie eine neue Siedlung, bei deren Aufbau wir drei Jahre lang geschwitzt haben. Jetzt kommt eine neue Generation mit neuen Ideen. Auch das ist spannend.

Und es kommen neue Kommunikationswege. Wie bleiben Sie in Kontakt mit anderen?

Noël Der Vorstand des Güterhallen-Vereins bespricht sich per Videokonferenz. Nach außen präsentieren wir uns jetzt auch auf Instagram.

Sie sind bei Paris aufgewachsen und dann nach Solingen gezogen. Warum?

Noël Die Frage ist nicht so sehr, wo man hingeht, sondern warum man bleibt. Ich bin mit 20 Jahren getrampt, war auch in Österreich und der Schweiz. In Solingen bin ich wegen des sozialen Netzes geblieben. Außerdem leben in NRW rund 18 Millionen Menschen, die ich mit meiner Kunst erreichen kann. In Paris bin ich stundenlang gependelt. In Solingen sitze ich auf meinem „Balkon“ und blicke auf die Bäume im Südpark.

Und tragen dabei Ihren Hut, der zum Markenzeichen geworden ist wie Ihre nackten Füße. Wie kam es dazu?

Noël Wenn ich einen Anzug trage, Schuhe und keinen Hut, dann könnte es sein, dass mich niemand erkennt. Ist das Marketing? Wenn die Künstler sich nicht verkleiden, wer soll es dann tun? Den Hut habe ich für einen Journalisten aufgesetzt, der eine Geschichte über mich geschrieben und Fotos gemacht hat. Irgendwie bin ich dann dabeigeblieben. Ohne Schuhe gehe ich seit dem sehr warmen Sommer 2006. Man muss lernen, barfuß zu laufen. Seit dem Glasverbot bei Festen sind die Scherben glücklicherweise weniger geworden.

Erfahren die Künstler im Südpark in Corona-Zeiten Unterstützung aus der Bevölkerung und von Firmen?

Noël Die Bereitschaft zu helfen ist da. Wir haben schon Unterstützung bekommen, wofür wir uns bedanken möchten. Die Solidarität ist für uns das schönste Lob. Wir freuen uns natürlich auch über weitere Fördermitglieder und Spenden. Es müssen keine riesigen Summen sein.

Verstehen Sie alle Auflagen, die während der Corona-Krise gemacht wurden? Und die Lockerungen, die gefolgt sind?

Noël Die Logik erschließt sich nicht immer. Ich bin froh, dass ich kein Politiker bin. Wenn man jetzt 20 Menschen ins Kunstmuseum lässt, ist das, als wenn niemand in dem Gebäude wäre. In meinem Atelier dagegen wären zehn zu viel. Ich freue mich auf weitere Lockerungen, finde aber, dass wir viel mehr Informationen brauchen. Soll ich beispielsweise Desinfektionsmittel an die Tür stellen, wenn wieder Besuche erlaubt sind?

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die Pandemie abklingen sollte?

Noël Ich vermisse meine Schüler. Und ich wäre sehr froh, wenn man sich wieder umarmen könnte. Während der Corona-Krise habe ich durch Videokonferenzen aber auch französische Freunde wiedergesehen, mit denen ich jahrzehntelang keinen Kontakt hatte. Außerdem konnte man sich den Freundschaftsanfragen auf Facebook widmen.

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