Historisches Solingen Restaurieren als Familien-Angelegenheit
Solingen · Die Geschichte der Hofschaft Schnittert reicht viele Jahrhunderte zurück. Bewohner halten sie wach in ihren persönlichen Erinnerungen, mit Dokumenten – und handwerklicher Arbeit.
Impressionen aus der Solinger Hofschaft Schnittert
Wer vor der mit rot-braunen Feldbrandsteinen gemauerten Fassade steht, hat die Wahl: Er könnte den Türklopfer bedienen – oder den extravaganten Klingelzug, einen Knauf, der sich in eine Wandöffnung hineindrücken lässt. Letzterer ist nur eines von vielen charmanten Details am Fachwerkhaus der Familie Güthues in Schnittert.
Vor allem aber ist es urgemütlich in den verwinkelten Räumen zwischen dunklen Holzbalken, die den Hauch der Geschichte zu atmen scheinen. „Hier wohnen wir seit 1989“, erzählt Hausherrin Bärbel Güthues. Mit der Hofschaft am Rande von Ohligs verbandelt ist sie aber seit ihrer Geburt. In einem Nachbarhaus, das sie durch das Sprossenfenster in ihrem Esszimmer sehen kann, wuchs sie einst auf. Und dort wiederum lebt noch immer ihr Bruder.
„Hier groß zu werden, war toll“, schwärmt Güthues. „Es gab immer Kinder, mit denen man spielen konnte.“ Über Altersgruppen hinweg unternahm man vieles zusammen, spielte Brennball oder rauschte an kalten Wintertagen über das abschüssige Gelände bis in den Tunnel der Bahnunterführung hinein. „Die Nachbarn passten immer mit auf“, erinnert sich Güthues, während sie ein Bilderalbum durchstöbert. Dort gesammelt hat sie Fotos aus früheren Jahrzehnten und allerlei Dokumente über die Hofschaft, bis hin zum Urkataster aus dem Jahr 1839.
Die Historie des Ortes reicht deutlich weiter zurück: Schon 1220 ist Schnittert dokumentiert – als eine von acht „Honschaften“ des Kirchspiels Wald, zu denen unter anderem auch Gräfrath, Ketzberg und Bavert gehörten. Ab 1565 besaß Schnittert ein Hofgericht, mit einem Schultheiß, vier Schöffen und einem Hofsboten. Und auch eine Schule gab es hier: Um 1730 eingerichtet, zog sie später zum Heiligenstock um. Das Gebäude indes wird heute noch als Wohnhaus genutzt. 835 Menschen lebten um 1815 in Schnittert, das zu napoleonischer Zeit der Bürgermeisterei Merscheid zugeschlagen – und später als Hofschaft Teil von Ohligs wurde.
All diese Fakten trug der aus Vereinsleben und Karneval bekannte Hofschafts-Bewohner Joachim Junker akribisch zusammen – und rekonstruierte zugleich das alte Schnitterter Wappen. Es zeigt acht Malzeichen, die für die Honschaften stehen.
Unter einem davon – symbolisch für das Hofgericht – ist eine goldene Waage erkennbar, und dazwischen eine Sichel als Anspielung auf die Schneidwaren-Industrie. Über allem thront ein Ritterhelm mit blau-goldenem Schmuck, der wiederum ein weiteres Malzeichen einrahmt. Aus sämtlichen Informationen gestaltete Junker ein Schild, das eingangs der Hofschaft, in Nähe des Bahnübergangs, die Besucher empfängt.
Wissenswertes über die eigene Familie entdeckten auch Bärbel Güthues und ihr Ehemann. Auch er hat verwandschaftlichen Bezug zur Hofschaft: Das belegt ein Foto aus dem Jahr 1921, auf dem eine Hochzeitsgesellschaft würdevoll vor einer alten Scheune posiert. „Das ist die Großtante meines Ehemannes“, erklärt Bärbel Güthues.
Die Heimat lässt einen offensichtlich nicht los – auch nicht Güthues Tochter Marie: Sie ist derweil einige Meter weiter oberhalb ihres Elternhauses – angesichts einsetzender Dämmerung im Schein von Baustellenlampen – mit handwerklichen Arbeiten beschäftigt. Mit Freund Markus Wolfegg saniert die 31-Jährige den alten „Schnitterter Hof.“ Das stark renovierungsbedürftige Fachwerkhaus, dessen Kern einst ein Wehrspeicher aus dem 15. Jahrhundert bildete, hatten sie einer Erbengemeinschaft abgekauft, zu der auch Maries Mutter gehörte. Um es wieder bewohnbar zu machen, hölte das Paar, das normalerweise im Allgäu lebt, das denkmalgeschützte Bauwerk praktisch komplett aus. Mit Unterstützung von Fachbetrieben nahmen sie sich Gefache, Dach und Fundamente vor – immer in Abstimmung mit der Behörde.
Das erfordert viel Hingabe und Nehmerqualitäten, schließlich verbirgen sich hinter alter Bausubstanz immer wieder auch unerkannte Schäden. „Das kostet Kraft“, sagt Wolfegg – und Marie Güthues ergänzt: „Es ist manchmal ein Schritt vor und zwei zurück.“ Ans Aufgeben habe man aber niemals gedacht. Ein zurück gäbe es ohnehin längst nicht mehr: Denn nach eineinhalb Jahren, in denen die Beiden das schmucke Haus mit Schieferfassade für die Zukunft rüsten, rückt ein Abschluss der Arbeiten näher. Der Estrich ist gelegt, die neuen Fenster sind eingebaut, Strohmatten lehnen an der Wand und warten auf ihren baldigen Einsatz als Putzträger. „Wir hoffen, dass wir im Sommer sehr weit sind“, sagt Wolfegg.
Einen historischen Fund machten die Beiden zuletzt bei den Arbeiten im Keller: einen Grabstein aus dem Jahr 1666. Der soll später Teil einer Mauer um das Grundstück werden und so auch für Spaziergänger zu sehen sein.
Was das Paar gerade gerade erlebt, haben Maries Eltern schon lange hinter sich: „Wir haben unser Haus auch komplett entkernt, bevor wir hier einzogen“, sagt Bärbel Güthues. Zwei Jahre täglicher Arbeit waren damit verbunden, die alte Scheune im Familienbesitz in ein heimeliges Wohnhaus zu verwandeln. Auch dabei machte man viele spannende Entdeckungen – von Tierknochen bis zu filigran gefertigten Messergriffen.
Doch auch wenn ihr Haus ebenso wie die ganze Hofschaft mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel hat, so ist doch nicht alles an ihm historisch – zumindest nicht der ungewöhnliche Klingelzug neben der Eingangstür: „Den hat mein Vater eingebaut“, verrät Bärbel Güthues. „Er war nämlich ein leidenschaftlicher Bastler.“