Interview Tim Kurzbach „Es kann noch keine Entwarnung geben“

Solingen · Für den Solinger Oberbürgermeister wäre es ein Unding, wenn die Kosten der Corona-Krise zuletzt bei den Städten hängen bleiben. Von daher begrüßt er das Konzept, das Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) angekündigt hat.

 Oberbürgermeister Tim Kurzbach stellt sich im September zur Wiederwahl.

Oberbürgermeister Tim Kurzbach stellt sich im September zur Wiederwahl.

Foto: Meuter, Peter (pm)

Herr Kurzbach, die Corona-Pandemie hält die Solinger, aber auch die Stadtverwaltung weiter in Atem. Ist ein Ende der Krise in Sicht?

Kurzbach Ich gehe davon aus, dass es eine zweite Welle geben wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei über 50 Prozent. Also kann es leider noch keine Entwarnung geben. Und von daher müssen wir weiter versuchen, einen Einklang zu erzielen, einerseits den Schutz des Lebens zu sichern und andererseits durch Lockerungen von Maßnahmen unsere Wirtschaft am Laufen zu halten.

Das klingt aber zunächst einmal etwas theoretisch. Sie kennen ja selbst die Diskussion darüber, inwieweit ein absoluter Schutz des Lebens besteht.

Kurzbach Ja natürlich. Doch lassen Sie mich bitte eines ganz deutlich sagen: Leben zu schützen hat für mich oberste Priorität. Wir müssen als Gesellschaft insgesamt zusammenhalten, da darf es keine Abstriche geben, gerade älteren Menschen haben wir so viel zu verdanken. Und wir müssen dabei verlässlich und transparent für die Menschen handeln.

Wobei man schon den Eindruck bekommen kann, dass sich zwei Monate nach Ausbruch des Coronavirus auch im Rathaus eine gewisse „Routine“ im Umgang mit der Pandemie eingestellt hat.

Kurzbach Das würde ich so nicht sagen. Wir haben die Verwaltung komplett umgebaut. Manche Bereiche wie der Stadtdienst Gesundheit wurden personell durch Mitarbeiter verstärkt, die in ihren bisherigen Ressorts vorübergehend abkömmlich waren. Aber ganz praktisch ist es immer wieder eine Herausforderung. Wenn Bund und Land mittwochs Lockerungen für den kommenden Montag beschließen, bekommen wir als umsetzende Kommune erst samstags die jeweiligen Durchführungsbestimmungen. Das muss schneller gehen.

Sie klingen an diesem Punkt ein bisschen ärgerlich.

Kurzbach Nun ja, es ist sicherlich so, dass wir uns alle in einer vollkommen neuen Situation befinden. Das Coronavirus stellt uns vor Herausforderungen, die wir vor wenigen Wochen nicht für möglich gehalten hätten. Und dementsprechend bin ich der Letzte, der kein Verständnis für Fehler hat. Es bleibt nicht aus, dass es an der einen oder anderen Stelle hakt. Nur sollten nicht ständig die selben Fehler gemacht werden.

Dabei hat das Land in Person von Ministerpräsident Armin Laschet diese Kritik zuletzt zurückgegeben und den Städten vorgeworfen, sie hätten zum Beispiel die Schulöffnungen nicht genügend vorbereitet.

Kurzbach Ich kann nur für Solingen sprechen. Und da ist absolut deutlich geworden, dass wir die Anforderungen bei den Schulöffnungen als Schulträger bewältigt haben. Ich denke beispielsweise an die Hygienevorschriften. Diese haben wir umgesetzt. Allerdings ist es damit ja nicht getan. So hatte ich schon den Eindruck, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer bisweilen zu wenig durch das Land informiert fühlten. Und deren Chefin ist nun mal die Schulministerin.

Womit wir wieder beim Thema Transparenz wären.

Kurzbach Wir müssen grundsätzlich immer beachten: Wenn man öffnet beziehungsweise lockert, geht man ein Risiko ein. Von daher ist weiter Vorsicht und Zurückhaltung geboten, wobei ich noch einmal in aller Deutlichkeit betonen möchte, dass für mich der Schutz der Bevölkerung vor allem steht.

Aber gegen Lockerungen haben Sie doch grundsätzlich nichts?

Kurzbach Natürlich nicht, aber noch einmal, alles mit Vorsicht und der gebotenen Zurückhaltung. Wenn ich manche Diskussionen verfolge, dann wundere ich mich über die Prioritäten. Kindertagesstätten dürfen aus meiner Sicht jedenfalls nicht die letzte Station sein. Aber auch hier braucht es ein zwingend notwendiges Konzept über die Öffnung noch vor den Schulferien, um es gemeinsam mit den Trägern vorzubereiten.

Es gibt in vielen Bereichen offene Fragen. Muss zum Beispiel der Stadtdienst Gesundheit grundsätzlich auch mit Blick auf die Zukunft ausgebaut werden?

Kurzbach Wir müssen viel Geduld haben bei diesem Virus. Deshalb ist es wichtig, beim Stadtdienst Gesundheit erheblich in Stellen zu investieren, damit wir mehr medizinisch geschultes Personal vor Ort haben. Erst dann können wir nach gegenwärtigen Stand der Dinge die Kräfte im Stadtdienst wieder abziehen, die aus anderen Bereichen der Verwaltung zu Hilfe gekommen sind.

Lassen Sie uns einen Augenblick bei den Investitionen in Stellen bleiben. Schon heute ist klar, dass die Corona-Krise schwere finanzielle Verwerfungen hinterlassen wird – auch in der Solinger Stadtkasse. Waren also alle Sparanstrengungen der zurückliegenden Jahre, ja Jahrzehnte umsonst?

Kurzbach Das darf auf keinen Fall so kommen. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich verlange einen Rettungsschirm für Kommunen. Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, wenn die Kosten zuletzt bei den Städten hängen blieben.

Nehmen Sie es uns bitte nicht übel – aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Bund und Land eine Stadt wie Solingen entlasten werden. Die Erfahrung zeigt schließlich eindeutig, dass die Kommunen am Ende immer draufzahlen.

Kurzbach Bei dieser Einschätzung kann ich Ihnen leider noch nicht einmal widersprechen. Ich begrüße natürlich außerordentlich das Konzept, das Bundesfinanzminister Olaf Scholz Ende der Woche angekündigt hat. Denn wir befinden uns gerade tatsächlich in einer Krise, in der es ein „Weiter so“ nicht mehr geben kann. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es ist gut und richtig, dass wir die Kosten, die in der Corona-Krise zusätzlich anfallen, nicht in unserem normalen Haushalt ausweisen müssen...

... also ist doch alles gut.

Kurzbach Eben nicht. Noch einmal: Ich begrüße die Möglichkeit dieser Sonderbilanzierung ausdrücklich. Nur eines ist doch auch klar. Das alles muss irgendwann einmal zurückgezahlt werden, mit Zinsen. Und da erwarte ich einfach von Bund und Land, dass diese Belastungen übernommen werden. es kann nicht sein, dass wir – wie in der Vergangenheit – auf den Kosten sitzen bleiben.

Dabei ist die Stadt nicht die einzige, die wirtschaftliche und finanzielle Sorgen hat. In Solingen und im Bergischen sind viele Automobilzulieferer ansässig, die besonders unter der Krise leiden. Was halten sie von Kaufprämien für den Autoverkauf?

Kurzbach Ich bin gegen Prämien für den Autokauf. Es ist aber richtig, dass wir ein konkretes Augenmerk auf die Wirtschaft legen müssen, insbesondere auf die in unserer Stadt und in der Region. Ich denke hier insbesondere an Investitionen beziehungsweise Unterstützungen bei Nachhaltigkeit, Infrastruktur und Innovationen. Hier braucht es Impulse, aber wir sollten nicht Althergebrachtes sponsern.

Einiges sollte allerdings schon so bleiben, wie es früher war oder wie es vor der Krise beschlossen worden ist. Gehen Sie eigentlich davon aus, dass die Kommunalwahlen wie vorgesehen am 13. September statffinden?

Kurzbach Ja, davon gehe ich aus. Wir sollten darauf achten, dass wir den rechtlichen und verfassungstechnischen Rahmen auf jeden Fall einhalten.

Wobei manche Parteien mit Blick auf die Kommunalwahl bei den Aufstellungsversammlungen für Stadtrat und OB-Kandidat noch im Hintertreffen sind. Nicht, dass Sie am Ende gar nicht als rot-grüner Kandidat ins Rennen gehen können.

Kurzbach (lacht) Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Wir werden alle Fristen einhalten.

Wo können solche Versammlungen mit dem gebotenen Abstand denn über die Bühne gehen?

Kurzbach Die Corona-Schutzverordnung sieht solche Veranstaltungen ausdrücklich vor. Die SPD und die Grünen werden sich am 30. Mai im Pina-Bausch-Saal des Theater und Konzerthauses treffen, um das formale Aufstellungsprozedere zu bewältigen.

Sie treten im September erneut an. Die Grünen und die SPD unterstützen Sie. Macht der Job eines Oberbürgermeisters gegenwärtig überhaupt Spaß?

Kurzbach Spaß ist aktuell keine Kategorie, aber es ist eine große Verantwortung. Vieles von dem, was wir augenblicklich machen, konnten wir uns vor Monaten noch nicht vorstellen. Aber Freude machen mir die vielen lieben Feedbacks, dafür bin ich dankbar.

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