Vor dem Abschied aus der Solinger Innenstadt Jürgen Stephan kennt im Kaufhof jede Ecke

Solingen · Jürgen Stephan stand 49 Jahre lang in Diensten des Kaufhauses. Der frühere Betriebsratsvorsitzende erinnert sich an bessere Zeiten.

 Fast 90 Jahre lang prägte der Kaufhof die Innenstadt von Solingen. In naher Zukunft zieht Woolworth ein.

Fast 90 Jahre lang prägte der Kaufhof die Innenstadt von Solingen. In naher Zukunft zieht Woolworth ein.

Foto: Hogekamp, Lena (hoge)

Am Ende bleiben nur Erinnerungen – den Kunden wie den Mitarbeitern. Kunden, die vielleicht schon als Kinder staunend vor den Schaufenstern standen, als hinter den Scheiben eine Weihnachtswunderwelt aufgebaut war mit großen, unerreichbar teuren Steiff-Figuren – und vor dem Haupteingang die Straßenbahn um einen fast leeren Mühlenplatz fuhr, an dessen Rand nach Kriegsende nur einige Behelfsbauten standen. Kinder, deren Eltern vielleicht noch bei Tietz eingekauft hatten, und die später als Erwachsene gerne die Annehmlichkeiten eines großen Kaufhauses nutzten: von der Lebensmittel-Abteilung im Keller bis zum Restaurant im Obergeschoss.

Geblieben ist von der alten Herrlichkeit wenig. Und trotzdem hat die Nachricht, dass die Solinger Kaufhof-Filiale Ende März schließt, nicht nur die heutigen Mitarbeiter getroffen. „Nach 90 Jahren wird der Kaufhof zugemacht. Das war schon ein bisschen ein Schock für mich. Es hat mich sehr bewegt“, sagt Jürgen Stephan. Der 72-Jährige stand 49 Jahre lang in Kaufhof-Diensten – vom Beginn der Lehre Anfang 1961 bis zum Ende seines Berufslebens am 31. Dezember 2009. Einsatzort war – bis auf eine dreijährige Zeit in Köln-Mülheim – immer Solingen. Seit den späten 80er Jahren engagierte er sich hier im Betriebsrat, den er ab 1998 führte.

„Als ich in der Lebensmittelabteilung angefangen habe, gab es mehr als 750 Mitarbeiter im ganzen Haus und 63 Lehrlinge“, berichtet Stephan. Bei seinem Ausscheiden zählte die Belegschaft noch 54 Köpfe. Der Kaufhof war nicht seine erste Wahl, aber der Vater, Filialleiter bei Cornelius Stüssgen, wollte den Sohn auf jeden Fall im Einzelhandel sehen. Die Vorteile des großen Ausbildungsbetriebs lernte Jürgen Stephan dann schnell kennen: „Die festliche Begrüßung der neuen Lehrlinge im Erfrischungsraum war ein richtiges Ritual. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es gab auch Trainingsleiterinnen, die sich um die Lehrlinge kümmerten.“

 Jürgen Spahn hat viele Fotos aus seinen Kaufhof-Dienstjahren.

Jürgen Spahn hat viele Fotos aus seinen Kaufhof-Dienstjahren.

Foto: Fred Lothar Melchior

Es gab aber auch die klassische Ausbildung: „Abends musste der Boden gefegt werden, mit Sägemehl von der Rampe. Wehe, wenn etwas liegen blieb.“ Stephan blieb im Tiefgeschoss, wechselte aber zur Abteilung für Heim und Handwerk sowie Autozubehör. „Ich habe mich hochgearbeitet“, erzählt er. „Zunächst zum Erstverkäufer, danach zum Substitut.“ 1970 drohte dann Ungemach: „Als Karstadt kam, waren wir als Belegschaft grundsätzlich dagegen. Wir dachten, das sei zu viel für Solingen.“ In einem Protestmarsch zogen die Kaufhof-Mitarbeiter über die Goerdelerstraße zum Rathaus. Die Demonstration brachte nichts. „Unsere Umsätze sind durch Karstadt schon etwas zurückgegangen“, erinnert sich der gebürtige Ohligser. „Einige Kaufhof-Mitarbeiter haben auch den Arbeitsplatz gewechselt. Im Lauf der Jahre hat es sich aber eingespielt.“

Mitte der 70er wurde Jürgen Stephan Abteilungsleiter. „Die Führungskräfte kamen fast alle aus den eigenen Reihen. Kaufhof hatte bis in die 80er Jahre ein eigenes Bildungszentrum in Neckarsulm.“ Als Abteilungsleiter erlebte er den zweiten großen Einschnitt: „1986 haben wir in Kaufhof Mode & Sport umfirmiert.“ Die Mitarbeiter aus der Lebensmittel- und den Hartwaren-Abteilungen sowie aus dem Restaurant wurden umgesetzt oder erhielten Abfindungen.

„Nach dem Umbau hatten wir ganz tolle Sortimente und tolle Marken“, blickt Stephan zurück. „Damals wurde viel investiert.“ Bekannte Sportler wie Klaus Allofs, Dieter Burdenski, „Albatros“ Michael Groß und Norbert Schramm kamen zu Autogrammstunden. Auch vom jungen Bodybuilder Marcus Temming hat Stephan noch eine Aufnahme in seinem Fotoalbum. „Am Anfang von Mode & Sport haben wir auch sehr gut mit den Solinger Sportvereinen zusammengearbeitet, indem wir gute Rabatte gaben.“

„Das war meine schönste Zeit im Kaufhof“, unterstreicht Stephan. „Wir konnten das hochwertige Sortiment noch etwas mitbestimmen. Die Teile wurden auch alle verkauft. Da blieb nichts übrig.“ Später habe es sich für viele Kunden nicht mehr gelohnt, nach Solingen zu fahren. „Man hat auf jung gemacht. Anzüge gab es nicht mehr. Man hat uns gesagt, für ein größeres Sortiment sei der Standort zu klein.“

„Der große Knacks kam, als Saturn in den Hofgarten gezogen ist und die Mieteinnahme wegfiel“, analysiert der ehemalige Betriebsratsvorsitzende („Wir waren mit einer Quote von gut 90 Prozent eines der bestorganisierten Häuser“). „Wir haben, wenn auch auf kleinem Niveau, immer schwarze Zahlen geschrieben. Der Verlust fing an, als die Kanadier übernahmen und die Mieten erhöht haben. Von da an ging es richtig bergab. Zum Schluss wechselten alle fünf Minuten die Geschäftsführer.“

Also besser zurück zu den schönen Erinnerungen – etwa zu den tollen Schaufenstern. Stephan: „Alles wurde selbst gemacht. Die Dekorationsabteilung hatte mehr als 30 Mitarbeiter, Schreiner, Elektriker und Installateure. Wir hatten hervorragende Fenster. Der Dekochef wurde sogar mehrfach in den USA ausgezeichnet.“ Auch ans Restaurant denkt Jürgen Stephan gerne zurück: „Die Torten unserer Konditoren waren ein Renner.“ Es gab auch ein eigenes Nähatelier für Gardinen.

„Der Zusammenhalt in den einzelnen Abteilungen war großartig“, erzählt der Pensionär, der seine Frau Gabriela im Kaufhof kennengelernt hat. „Es gab Kegelabende, und wir sind in der Heide gelaufen. Ich habe meine Mitarbeiter immer mit eingebunden. Wir waren ein Club, haben uns alle geduzt.“ Zur letzten Weihnachtsfeier für Rentner ist er 2017 gegangen, danach gab es keine mehr. Zuletzt seien nur noch 25 bis 30 Teilnehmer statt wie früher rund 100 gekommen. Im Kaufhof selbst war der Ohligser in letzter Zeit nur noch sporadisch. „Im Kaufhof kenne ich jede Ecke.“ Und dann schmerzt es zu sehen, was aus den Ecken geworden ist.

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