Jürgen Ries Vegetation statt Vinyl

Vor einem Jahr schloss das Getaway seine Pforten. Geschäftsführer Jürgen Ries blickt gelassen zurück – und genießt den neuen Abschnitt.

 Jürgen Ries hat nun viel Zeit für seine Hobbys.

Jürgen Ries hat nun viel Zeit für seine Hobbys.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Sichtlich entspannt öffnet der Hausherr die Tür. Vom Flur aus fällt der Blick der Gäste in ein Zimmer mit einem großen Schallplattenregal. „Die habe ich inzwischen alphabetisch sortiert“, verrät Jürgen Ries. Die Vinylscheiben haben eine Menge erlebt: Früher brachten sie partyhungrige Discobesucher zum Tanzen, später lagerten sie in einem Nebenraum der Veranstaltungshalle. Und heute kann ihr Besitzer sie wieder ganz privat auflegen. Ein Jahr ist es her, dass Ries sein „Getaway“ schloss – und damit eine fast vier Jahrzehnte währende Ära in Solingen beendete.

Mehrere Generationen von Musikfreunden und Nachteulen hatten der Diskothek an ihrem letzten Standort, der alten Beckmann-Brauerei an der Kottendorfer Straße, am letzten Februarwochenende 2018 einen würdigen Abschied bereitet. Für Jürgen Ries und sein Team ging die Arbeit naturgemäß weiter: Bis zur Schlüsselübergabe an den Eigentümer mehrere Wochen später galt es schließlich, Halle und Bar auszuräumen. Eine Gruppe von Mitstreitern half dabei, die letzten Spuren des seit 1992 währenden Diskotheken-Betriebs im Keller des Backsteinbaus zu beseitigen. Im Rahmen eines Trödels hatten sich Get-Besucher schon in den Wochen vor der endgültigen Schließung viele Einrichtungsstücke als Andenken gesichert. Manches verschenkte Ries, lagerte es selbst ein – oder musste es wegwerfen. Nun ist das „Get“ Geschichte, die Gasträume stehen leer – und für Jürgen Ries und seine Lebensgefährtin hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen.

Grund zur Wehmut ist das für den 61-Jährigen nicht unbedingt. „Dafür waren vor allem die letzten vier Jahre zu anstrengend“, betont Ries. Zu den manchmal bis zu 20-stündigen Tagen, die erst in den Morgenstunden endeten, gesellte sich der zunehmende wirtschaftliche Druck in Zeiten veränderter Freizeitgewohnheiten. „Die Ansprüche sind gestiegen, aber dennoch durfte man nicht teurer werden“, sagt Ries. Die Zeit für Discotheken für 300 bis 500 Leute sei vorbei – erst recht in einer Stadt wie Solingen, die von mehreren größeren Metropolen eingekesselt ist. „Was ich aber auf jeden Fall vermisse, sind die Stammgäste und die guten Gespräche“, stellt Ries klar. Deswegen besuche er auch gelegentlich die Exit-Party in der Cobra, in der er auch auf alte Weggefährten treffe. Auch im Waldmeister sei er bereits gewesen. Darüber hinaus nutze er die Gelegenheit für private Verabredungen, die es so in Zeiten des intensiven Diskotheken-Geschäfts ebenso selten gab wie Urlaubsreisen, bei denen mal nicht regelmäßig das Handy klingelte. Über seine Lebensgefährtin hat Ries auch die Gartenarbeit für sich entdeckt: „Ich hätte früher nicht gedacht, dass ich mal selber Gemüse anbauen würde.“

1980 hatte Jürgen Ries als Mitarbeiter in der jungen – damals noch in Glüder beheimateten – Disco angefangen, um sie ein Jahr später, nach dem Rückzug des damaligen Geschäftsführers, zu übernehmen. Über die Jahre hinweg entwickelte sich das „Get“ zu einer Institution weit über Solingens Stadtgrenzen hinaus. „Wäre es so gelaufen wie in den ersten 15 Jahren, hätte ich noch weitergemacht“, sagt Ries.

Abgeschlossen hat der 61-Jährige mit dem Berufsleben allerdings noch nicht. Die Zeit in der Gastronomie gehört für ihn aber der Vergangenheit an, denn: „Ich möchte auch mal dann freihaben, wenn die Masse freihat.“

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