Mein Solingen Schmitzerino – der Tauber von Pilghausen

Solingen · Pilghausen besteht aus Oben-, Mittel- und Untenpilghausen. In unserer Serie „Mein Solingen“ stellen wir die drei getrennten Hofschaften vor.

   Die riesige und imposante Kastanie vor dem Haus Obenpilghausen 20 ist ein Naturdenkmal.  Fotos (2): Meuter

Die riesige und imposante Kastanie vor dem Haus Obenpilghausen 20 ist ein Naturdenkmal. Fotos (2): Meuter

Foto: Meuter, Peter (pm)

Die riesige und auch vom Baumumfang imposante Kastanie vor dem Haus Obenpilghausen 20 ist ein Naturdenkmal. Das daneben stehende Haus ist ebenfalls ein Denkmal, allerdings erst seit 1985. Der lang gestreckte Bau von zwei Geschossen unter einem sogenannten „Krüppelwalmdach“ in Ständerbauweise wurde 1739 von Clemens Weyersberg auf einem dreiteiligen Grundriss errichtet und bot zur damaligen Zeit einen weiten Blick über Felder. „Das anhängende Gut und die damit verbundenen Ländereien reichten bis zur Katternberger Straße“, sagt Axel Birkenbeul, Bezirksbürgermeister von Burg/Höhscheid.

Weyersberg war Klingenkaufmann und Bürgermeister von Solingen. Sein Vater Peter, ein Schwertschmied, hatte es bereits zu einem Vermögen gebracht. Er war ebenfalls Bürgermeister gewesen, wie auch sein Großvater Wilhelm Weyersberg. „1820 brannte das Haus ab, wurde dann aber in seiner heutigen Form wieder aufgebaut“, sagt Axel Birkenbeul.

Er kennt sich in der Hofschaft Pilghausen aus. Wobei: „Es handelt sich hier um drei getrennte Hofschaften“, so der Bezirksbürgermeister mit Blick auf Oben-, Mittel und Untenpilghausen. Urkundlich erwähnt wurde Pilghausen bereits 1334. In einer Urkunde der evangelischen Kirchengemeinde werden die Pilghauser Höfe im Jahr 1412 genannt. „Früher waren hier vor allem landwirtschaftliche Flächen“, erzählt Birkenbeul.

Pilghausen sei aber immer schon auch ein Wohnort für Schleifer, Härter oder Reider gewesen. „Schneidwarenbearbeiter waren hier sehr präsent.“ Und auch das einst große Unternehmen „Friedrich Herder Abr. Sohn“ mit dem weltbekannten Warenzeichen „Schoppen-Ass“ (Pik-Ass) hatte in Pilghausen seinen Ursprung – im Gebäude an der heutigen Hohlstaße 15.

„Einer der Nachfolger der Messermacherfirma von Peter Herder, Friedrich Herder, zog später auf ein Gelände am Grünewald, baute neben einem Wohnhaus auch eine Produktionsstätte. Friedrich Herder Abr. Sohn ist eines der ältesten Schneidwarenunternehmen in Solingen. Es wurde Ende Februar 1727 gegründet und ist damit gut vier Jahre älter als das 1731 gegründete Zwillingswerk. Am Grünewald ist Herder allerdings schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr, in Teilen der alten Herder-Gebäude ist heute das Gründer- und Technologiezentrum untergebracht.

   Fachwerkhäuser, auch kurios anmutende Gebäude wie dieses mit Flachdach, prägen die Hofschaft.

Fachwerkhäuser, auch kurios anmutende Gebäude wie dieses mit Flachdach, prägen die Hofschaft.

Foto: Meuter, Peter (pm)

Kleine Wege führen durch die Hofschaft Obenpilghausen, die mit Blick auf einige Häuser allerdings schon bessere Zeiten erlebt hat. Gleichwohl sind andere Eigentümer bemüht, ihre schmucken Fachwerkhäuser gut in Schuss zu halten. Ohnehin wechseln sich neue wie alte Häuser in der Hofschaft ab. Teils paradiesisch angelegte Gärten mit Teichen sind beim Rundgang durch die Hofschaft zu sehen, die man hinter den Wohngebäuden nicht vermuten würde.

Nur noch vage zu erkennen ist dagegen eine Mauer des alte Schöpfbrunnens der Hofschaft. Zugänglich ist der Brunnen, der im Moment kein Wasser mehr liefert, nicht. Wie auch so mancher Weg nicht mehr begehbar ist. „Der Schöpfbrunnen und einige Wege sind Privatgelände“, erklärt Axel Birkenbeul.

Zu vielen Häusern in der Hofschaft gibt es eine Geschichte. Obenpilghausen 43 beispielsweise. „Hier existierte eine Mühle und Bäckerei“, sagt Axel Birkenbeul. Oder Obenpilghausen 65. Hier befanden sich einst die Gaststätte und das Restaurant des Fabrikarbeiters und Wirts Friedrich Tragbar. „Eine Gaststätte in einer Hofschaft, das rechnet sich heute nicht mehr“, meint der ortskundige Stadtführer.

Aber auch die Geschichte des 1904 geborenen Heinrich Irsen ist mit der Hofschaft Pilghausen verbunden. Er wuchs im Haus Obenpilghausen 60 auf. Der Scherennagler war homosexuell und wurde von den Nazis verfolgt. Im Konzentrationslager Oranienburg wurde er ermordet. Axel Birkenbeul: „Es existiert ein Stolperstein vor dem Haus Katternberger Straße 202, wo er zuletzt bei seiner Mutter wohnte.“

 Richard Schmitz war als der „Tauber aus Pilghausen“ bekannt und zog in den 1920er Jahren durch die Hofschaft.

Richard Schmitz war als der „Tauber aus Pilghausen“ bekannt und zog in den 1920er Jahren durch die Hofschaft.

Foto: Stadtarchiv

Aber Obenpilghausen hatte auch eine Attraktion – wenn man so will, eine herausragende Persönlichkeit: Richard Schmitz. Dieser war in den 1920er Jahren einer der damals umherziehenden Sänger und Musikanten. „Er bediente eine Drehorgel, die er auf einem Gefährt mit Rädern befestigt hatte. Damit zog er durch die Hofschaften in Solingen. Auf seine Drehorgel hatte er seinen Künstlernamen ,Schmitzerino’ aufgeschrieben“, erzählt Axel Birkenbeul. Von den Leuten wurde Schmitz „Der Tauber aus Pilghausen“ genannt. Birkenbeul: „Er hatte eine hohe Tenorstimme und wurde immer wieder gebeten, so hoch zu singen wie möglich.“ Dabei sei er dann aber ins Krächzen geraten.

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