Urteil in Wuppertal Fast sieben Jahre Haft für Pflegemutter nach Tod von Kleinkind

Solingen/Wuppertal · Für den Tod eines 21 Monate alten Kindes musste sich eine 51-Jährige vor dem Landgericht verantworten – das Urteil: sechs Jahre und zehn Monate. Auch der Umgang der Jugendämter wurde vor Gericht kritisiert.

 Die Angeklagte hatte im Juni 2017 ein  21 Monate altes Mädchen in Solingen derart brutal geschlagen, dass es seinen schweren Verletzungen erlag.

Die Angeklagte hatte im Juni 2017 ein  21 Monate altes Mädchen in Solingen derart brutal geschlagen, dass es seinen schweren Verletzungen erlag.

Foto: Sabine Maguire

Warum ? Diese Frage blieb auch am Ende einer beinahe einstündigen Urteilsbegründung unbeantwortet. Zuvor hatte der Vorsitzende Richter Joachim Kötter das Urteil im Prozess gegen die wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte Pflegemutter verkündet: Sechs Jahre und zehn Monate muss die 51-Jährige in Haft.

Sie hatte im Juni 2017 ein  21 Monate altes Mädchen derart brutal geschlagen, dass das Kind seinen schweren Verletzungen erlag. Mit dem sterbenden Kind im Arm soll die Angeklagte noch den Notruf alarmiert haben. Um den Verdacht von sich abzulenken, soll sie das blutverschmierte Kind umgezogen und die Wohnung geputzt haben.

„Ein solches Nachtatverhalten würde kein normaler Mensch schaffen“, versuchte der Vorsitzende Richter das Entsetzen über die Tat in Worte zu fassen. Man habe sich bis zum Schluss nicht hineinversetzen können in das, was in der Angeklagten vorgegangen sei, als sie auf das ihr anvertraute Kind einschlug. Die Tat müsse sich über mindestens 20 Minuten hingezogen haben, von einem kurzen Ausraster könne keine Rede sein. Es sei mehrfach wie von Sinnen auf das Kind eingeschlagen worden –  „empatielos, roh und rücksichtslos.“ Man glaube der Angeklagten auch nicht, dass sie danach noch Wiederbelebungsversuche unternommen haben will. Das sei aus Sicht der Kammer allenfalls Wunschdenken und der Versuch, sich selbst zu schützen.

Die 51-Jährige blieb bei der Urteilsverkündung ebenso regungslos wie sie es den ganzen Prozess über war. Eine psychiatrische Sachverständige hatte ihr zuvor eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert: Sie kreise nur um sich selbst, und ihr fehle es an Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse eines Kindes.

Klare Worte dazu auch vom Richter: „Ein Kind ist keine Nippesfigur, die man sich auf den Kamin stellt.“ Die Angeklagte habe das Ideal einer heilen Familie leben wollen und nicht gesehen, dass sie dafür gänzlich ungeeignet sei. Im Gegenteil: Sie habe den Jugendämtern eine bürgerliche Fassade präsentiert und sogar ihren Lebenslauf geschönt. Dort wiederum habe man das Risiko nicht erkannt und es versäumt, frühzeitig einzuschreiten.

Aus Sicht des Gerichts habe es zuvor klare Hinweise darauf gegeben, dass die Angeklagte als Pflegemutter ungeeignet sei. Die habe bereits einige Jahre zuvor ein Pflegekind unter dramatischen Umständen zurückgegeben, weil sie überfordert gewesen sei – um sich am nächsten Tag erneut als Pflegemutter zu bewerben.

In ungewohnter Offenheit kritisierte die Kammer auch den Umgang der Jugendämter mit dem Fall. Dort habe ein Konglomerat von Zuständigkeiten und ein Mangel an Informationsaustausch geherrscht. Auf Bildern habe man sehen können, dass es dem Mädchen beim Einzug in das Haus der Pflegemutter noch gut gegangen sei. Monate später habe das Kind nur noch traurig in der Ecke gesessen und vor sich hin gestarrt. „Das alles war möglich, ohne das jemand eingegriffen hat“, verwies der Vorsitzende Richter auf die Verantwortlichkeit der Jugendämter. Dort habe man aufgekommene Zweifel nicht ernst genug genommen. Die akute Gefahr für das Kind sei nicht erkannt worden – auch mehrere Anzeigen beim Jugendamt wegen Kindeswohlgefährdung hätten nicht dazu geführt, das Pflegeverhältnis zu beenden.

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