Solingen Schienbeinschoner für Ibrahim

Solingen · Von der Solinger Tafel erhalten der Zehnjährige und seine Mutter regelmäßig Lebensmittel. Dank der "Aktion Wunschzettel" bekommt der Grundschüler auch ein Weihnachtsgeschenk - wie rund 500 weitere Mädchen und Jungen.

 Geplündert: Am Weihnachtsbaum unserer Redaktion sind alle Wunschzettel vergriffen.

Geplündert: Am Weihnachtsbaum unserer Redaktion sind alle Wunschzettel vergriffen.

Foto: Radtke, Guido (gra)

Es ist ein großer Wunsch, der für Ibrahim schon kurz vor Weihnachten in Erfüllung gegangen ist. "Ich habe einen Fußballverein gefunden, bei dem ich trainieren kann", erzählt der Zehnjährige und strahlt. Klar, dass sein Wunsch an den Weihnachtsmann dann auch mit seinem Lieblings-Hobby zu tun hat: "Schienbeinschoner" hat er auf die Karte geschrieben, die er im Rahmen der Aktion Wunschzettel von der Solinger Morgenpost und der Solinger Tafel ausgefüllt hat. Mehr als 500 Wünsche wie den von Ibrahim haben die Leser unserer Zeitung und etliche Sponsoren in diesem Jahr erfüllt und sorgen so dafür, dass auch die Kinder, die bei der Tafel registriert sind, zu Weihnachten ein Geschenk bekommen.

Ein Geschenk, das mitunter viel bedeuten kann. Denn wenn Ibrahim Fußball spielt, dann ist er einfach nur ein Kind. Ein Zehnjähriger wie jeder andere Zehnjährige, ein Drittklässler wie jeder andere Drittklässler. Ein Junge, der Fußballprofi werden will, oder Arzt. "Aber eins von beidem", sagt er und nickt. Wenn Ibrahim Fußball spielt, ist alles andere weit weg: Die Flucht aus dem vom Krieg zerstörten Tschetschenien, in dem es, sagt Ibrahim, keinen Platz zum Leben gibt. Die Jahre in dem Zimmer im Flüchtlingsheim, in dem es eng war und laut. Die schwere Krankheit der Mutter, wegen der sie starke Medikamente nehmen muss. Die Monate, in der die Mutter, die Ibrahim allein erzieht, stationär in die Klinik musste - und Ibrahim ins Kinderheim. Die Tage, an denen das Geld für Essen knapp wird, weil die Fahrtkosten in die Klinik in der Nachbarstadt so hoch sind und die Lebensmittel, die sie einmal in der Woche von der Tafel bekommen, bereits aufgebraucht. Und die Situationen, in denen Ibrahim übersetzt, der Mutter hilft, für sie da ist.

Ibrahim, ein aufgeschlossenes, höfliches, lebensfrohes Kind, hadert mit all dem nicht. "Das ist kein Problem für mich", sagt Ibrahim in fließendem Deutsch. In der Auffangklasse, später an seiner Grundschule und natürlich mit seinen Freunden, die er häufig treffe und mit denen er viel spreche, habe er die Sprache so gut gelernt, erzählt der Junge. Er liebt Sport- und Schwimmunterricht, mag Mathe - und ist ein großer Fan seiner neuen Heimat. "Ich mag keine anderen Städte, aber ich liebe Solingen. Hier sind viele nette Leute."

An Tschetschenien indes hat er kaum noch Erinnerungen. Und wenn, dann keine guten: "Ich erinnere mich an einen elfjährigen Jungen, der ganz viele Messer bei sich trug", sagt er. Auch die Mutter sieht in der Heimat keine Perspektive für sich und den Sohn: "Kinder lernen dort nur, wie man Krieg führt. Ich möchte, dass mein Sohn etwas lernt, ein guter Mensch wird." Solingen sei eine gute Stadt, sagt die 38-Jährige, sie fänden hier viel Hilfe. Auch für sie ist in diesem Jahr bereits ein großer Wunsch in Erfüllung gegangen: Vor vier Monaten konnten sie und Ibrahim in eine kleine Wohnung - ein Schlafzimmer, Küche, Bad - umziehen. Ansonsten sagt die Frau, die von ihrer Krankheit gezeichnet ist, habe sie keine Wünsche. "Ich möchte nur, dass es meinem Sohn gut geht."

Ibrahim indes wünscht sich, was sich jeder Zehnjährige wünscht: Eine Playstation, die seine Mutter nicht bezahlen kann, Fußballschuhe, die ebenfalls für die Familie kaum finanzierbar sind. Und ein schönes Weihnachtsfest. "In Tschetschenien haben wir immer gefeiert. Hier aber nicht richtig, denn Weihnachtsbäume sind ja auch ganz schön teuer", sagt der Junge. Umso mehr freut er sich auf die Bescherung der Solinger Morgenpost im Theater: "Voriges Jahr waren wir auch da. Das war schön."

(mxh)
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