Solingen Scharfer Blick für’s Wesentliche

Solingen · 60 Jahre in der SPD – dafür wurde die Aenne Franz gestern Abend ausgezeichnet. Dabei erscheint dies der Solingerin, die auch viele Granden der Partei von Willy Brandt bis Johannes Rau kennen lernte, nicht einmal der Rede wert. Politik war für sie immer Dienst an den Menschen.

60 Jahre in der SPD — dafür wurde die Aenne Franz gestern Abend ausgezeichnet. Dabei erscheint dies der Solingerin, die auch viele Granden der Partei von Willy Brandt bis Johannes Rau kennen lernte, nicht einmal der Rede wert. Politik war für sie immer Dienst an den Menschen.

Wer genau dafür verantwortlich ist, dass sie nun gleich die vielen Reden der Parteifreunde über sich ergehen lassen und selbst auch ein paar Worte sagen muss, weiß Aenne Franz wirklich nicht mehr. Der Großvater, der "damals zu den Roten gehörte", wie sie sich erinnert? "Vielleicht", erklärt die ältere Dame. Oder doch eher der Pfarrer der katholischen Kirche, der von ihr bei der Beichte immer irgendwelche Sünden zu erfahren verlangte, die das kleine Mädchen doch gar nicht begangen hatte? "Schon möglich", sagt Aenne Franz. Aber dann redet die resolute Frau mit den grauen Haaren von jenem Tag, irgendwann 1938 oder 1939!

Mit Politik nicht viel am Hut

Aenne Franz war damals ein richtiger Backfisch — und mit Politik hatte der Teenager noch nicht viel am Hut. "Ich war wie alle meine Freundinnen im Bund Deutscher Mädel", erzählt sie. Doch das war unter den Nazis nichts weiter als eine lästige Pflichtübung, jedenfalls weiß Gott kein Ausdruck politischer Gesinnung.

Als die Nazis aber dann an eben diesem Tag alle BDM-Mädel im Hauruckverfahren in die NSDAP drängen wollten, da wurde es ihrem Vater, genauso wie der Opa ein alter Sozialdemokrat, zu viel. "Er hat mich zu Hause eingesperrt", erinnert sich die Tochter noch heute. Und der Vater ersparte seinem Mädchen so nicht allein die Gehirnwäsche der Nazis — sondern schärfte auch Aennes Blick für das Wesentliche in der Politik. "Ich wollte immer den Menschen direkt helfen", erklärt die Rentnerin.

Und genau darum sitzt die 84-Jährige jetzt in ihrem Wohnzimmer an der Cronenberger Straße und weiß so überhaupt nicht, was sie von dem bald Folgenden halten soll. 60 Jahre ist Aenne Franz in der SPD — und weil es sich so gehört, und weil die Partei bei Lichte betrachtet zurzeit nicht viele andere Gründe zum Feiern hat, wird sie gleich von den Genossen geehrt werden.

Für Aenne Franz, die der heutigen SPD-Politik in manchen Punkten kritisch gegenüber steht, eigentlich nicht der Rede wert. Nach dem Krieg gehörten der Vater und seine Freunde zu jenen, die die Solinger Sozialdemokratie neu aufbauten: Irgendwie schien es da nur folgerichtig, dass Aenne im März 1947 ebenfalls der Partei beitrat.

Jahrzehntelang arbeitete die Mutter einer Tochter bei der Arbeiterwohlfahrt, aber sie saß für die SPD auch im Kulturausschuss und führte bis in die 90-er Jahre für die Merscheider Sozialdemokraten die Bücher. Ein ganz anderes Buch könnte sie auch über ihre Erlebnisse verfassen. "Ich habe sie alle kennen gelernt", erzählt sie. Und dann fallen Namen wie Heinz Kühn, der in den 70-er Jahren NRW-Ministerpräsident war, oder Johannes Rau, Kühns Nachfolger und später Staatsoberhaupt.

"Alles beeindruckende Leute", findet Aenne Franz, während ihr Blick auf ein Poster in der Wand fällt — Willy Brandt mit Gitarre. Ihn, den Säulenheiligen der SPD, traf sie bei einem Juso-Treffen Anfang der 50er. "Ein guter Politiker, der aber auch seine Fehler hatte", erklärt die Sozialdemokratin noch. Doch dann ruft wirklich die Pflicht — und die Partei, die endlich feiern will.

(RP)
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