Solingen Nach Tumult Freispruch zweiter Klasse

Solingen · Als klar war, dass es kommen würde, wie es kommen musste – da wandte sich die Nebenkläger-Vertreterin vor der Urteilsverkündung des Schöffengerichts fast flehend an die Familie des Mädchens. Auch ihr täte es weh, erklärte die Anwältin, aber so sei der Rechtsstaat nun mal: „Im Zweifel für Angeklagte.“

Worte gleichwohl, die bei den Adressaten nicht verfingen. Denn als der Mann auf der Anklagebank mit dem zotteligen Bart Minuten später – wie nach Prozessverlauf zu erwarten – von dem Vorwurf freigesprochen worden war, eine Nichte missbraucht zu haben, und nur ein Urteil wegen Bedrohung der heute 13-Jährigen kassiert hatte, zeigte ein junger Mann, der dem Mädchen nahesteht, ein T-Shirt mit dem Spruch: „Scheiß auf den Rechtsstaat!“

Eine wenig überraschende Provokation, hatten es doch beide Seiten der zerstrittenen Großfamilie auch am letzten Verhandlungstag gegen den 52-Jährigen nie versäumt, ihrer Verachtung für rechtsstaatliche Grundsätze Ausdruck zu verleihen. Los gegangen war es schon, als ein Mann aus dem Dunstkreis des Angeklagten plötzlich gedroht hatte, sich eine Waffe zu besorgen und „alle umzubringen“. Die Folge: Es musste unterbrochen werden, Polizei rückte an und der Mann wurde – so hieß es später – festgenommen.

Ihm hatte der Verlauf des Verfahrens nicht gepasst, in dem es darum ging, ob der Angeklagte das Mädchen tatsächlich vor Jahren missbrauchte. Das Kind hatte dies – so wie zwei junge Frauen aus der Familie, die ebenso Übergriffen ausgesetzt gewesen sein sollen –mehrfach zu Protokoll gegeben. Aber nachdem schon die Anklagen bezüglich der Frauen per Prozessurteil fallen gelassen worden waren (zum Teil waren die Vorwürfe verjährt oder zu unkonkret), hing im Fall der 13-Jährigen alles von einem psychologischen Gutachten ab.

Und so gesehen hätte sich der Randalierer seinen Ausraster sparen können. Denn eine Gutachterin kam Stunden später zu der Einschätzung, die verschiedenen Einlassungen des Mädchens ließen die notwendige „Konstanz“ vermissen. Im Klartext: Die Kleine hatte unterschiedliche Aussagen gemacht, einmal war es ihr nicht mal möglich gewesen, den Vorwurf an sich plausibel zu machen.

Eine Einschätzung, die das Gericht laut Urteilsbegründung bereits vorher gewonnen hatte – und die doch keineswegs bedeutet, dass die Schülerin log. Vielleicht hat sich der Onkel tatsächlich an ihr vergangen, nachdem er ihr vorher ein Versprechen gemacht hatte. Allein, zu beweisen war das nicht, da sich das Kind zuletzt weigerte, noch mal auszusagen.

Im Zweifel für den Angeklagten – am Ende blieb nichts weiter als eine Geldstrafe in Höhe von 550 Euro. Das Gericht sah als erwiesen an, dass der Angeklagte nach dem Aufkommen der Vorwürfe der Nichte gedroht hatte, sie und ihren Teil der Familie „auszurotten“. Und der Nebenklage-Vertreterin blieb nichts weiter, als zu resümieren: „Der Rechtsstaat hat solche Tage“ – eben denkwürdige Tage.

(RP)
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