Solingen Musikschule droht Zahlungsunfähigkeit

Solingen · Sollte sich am gedeckelten Zuschuss der Stadt nichts ändern, kommt 2016 die Bildungseinrichtung in existenzielle Not.

Man fühlt sich fast wie in Lateinamerika. Da wirbeln die voranpeitschenden Rhythmen, da ballen sich Orchesterfarben zusammen, da können Solisten glänzen. "Danzon" des mexikanischen Komponisten Arturo Marquez fegt Ohren und Seele frei. Kein Wunder, dass der Konzertsaal Kopf steht. Selbst Klezmer-Virtuose Giora Feidman im Publikum ist hingerissen. "Das hätten die Berliner oder Wiener Philharmoniker auch nicht besser gemacht", ist Oberbürgermeister Norbert Feith voll des Lobes. Wer da gemeint ist? Das Jugendsymphonieorchester der Musikschule, das für einen tollen musikalischen Rahmen bei der Verleihung der "Schärfsten Klinge" an Herta Müller sorgte.

"Mit 70 Musikern haben wir ein volles Orchester, das alleine aus der Musikschule - ohne Aushilfen - besetzt ist", sagt Ulrich Eick-Kressenbrock, Leiter der Musikschule und des Orchesters. "Vor sechseinhalb Jahren haben wir bei einer Probe mit neun Leuten angefangen." Und nun ein ganzes Symphonieorchester. "Das macht total Spaß, weil eine fantastische Stimmung unter den Jugendlichen herrscht, und jeder einzelne mit Herzblut dabei ist."

Zudem hat die Musikschule eine eigene Big Band, das Symphonische Blasorchester und viele weitere Ensembles. "Darum werden wir von vielen beneidet, denn das hat kaum eine Musikschule." Kleiner Wermutstropfen: Durch den Weggang etwa der Abiturienten gibt es oft Wechsel im Orchester. Großer Wermutstropfen: "Wenn sich nichts ändert, droht der Musikschule in eineinhalb Jahren die Zahlungsunfähigkeit. Das bedeutet ein existenzielles Problem."

2300 Schüler lernen an der Musikschule, 22 Kindergärten und Schulen werden betreut. Der Umsatz, der durch den Unterricht gemacht wird, beträgt etwa 800.000 Euro im Jahr. Hinzu kommen ein kleiner Landeszuschuss von 30 000 Euro und ein städtischer Zuschuss von 740.000 Euro. Letzterer ist seit über zehn Jahren gedeckelt, also nicht mehr erhöht worden. "Das ist eine regressive Entwicklung." Denn die Kosten steigen stetig: vom Strom bis zur Instrumentenwartung. Rund zweieinhalb Stellen wurden gestrichen, 60 Prozent der Lehrer arbeiten auf Honorarbasis, was landesweit einmalig ist - und das bei über 30 Prozent mehr an Schülern als vor über zehn Jahren. Eine städtische Überprüfung habe ergeben, dass es kein Einsparpotenzial mehr gebe. "Noch mehr geht nicht", so Eick-Kerssenbrock, "es sei denn wir machen zu." Eine Erhöhung der seit Jahren unveränderten Entgelte ist geplant.

"Das alleine wird uns nicht retten." Deshalb komme es auf den städtischen Zuschuss an. "Die Musikschule hat einen strukturellen Mehrbedarf", erläuterte bereits Oberbürgermeister Norbert Feith auf der vergangenen Sitzung des Kulturausschusses. "Und das ist haushaltsrelevant." Für Ulrich Eick-Kerssenbrock hat eine Musikschule nicht nur eine kulturelle Aufgabe: "Sie ist auch eine Bildungseinrichtung." Für die moderne Neurowissenschaft gibt es nichts Besseres für die Entwicklung des Gehirns als das Musizieren. Intellekt und Motorik werden gleichermaßen geschult. "Und - fast das Wichtigste - es löst Emotionen aus."

Wenn mit Kunst und Kultur weitergemacht werden soll, muss man den Kindern das nötige Werkzeug in die Hände geben. Wer nicht die Mittel mitbekommen hat, sich den großen Konzepten der Menschheit, etwa der Friedfertigkeit, zu nähern, kann zum gefundenen Fressen für Extremisten werden. Bildung und Kultur helfen gegen gesellschaftliche Kälte und Verrohung. "Deshalb sollten alle von einem solchen Angebot, wie es eine Musikschule vorhalten kann, profitieren können", so Eick-Kerssenbrock. Auf jeden Fall zeigte sich Giora Feidman beeindruckt und dankbar für das, was das jugendliche Solinger Orchester mit seiner gemeinschaftlichen Leistung nicht nur musikalisch bewegen kann.

(RP)
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