Solingen Mobbing treibt Schüler in den Selbstmord

Solingen · Mit erschreckenden Fakten konfrontierten die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Wenn Kinderherzen weinen - Mobbing-Tatort Schule" im Schulzentrum Vogelsang ihre Zuhörer.

Ein 14-jähriges Mädchen fand im Internet ehrabschneidende Kommentare unter Fotos, die sie auf der Schultoilette zeigen - heimlich aufgenommen von Schulkollegen. Ein schüchterner siebenjähriger Junge musste seinen Schulranzen wiederholt aus einer dreckigen Pfütze holen und sich für Schmierereien verantworten, die andere ihm in die Schuhe schoben: Mobbing hat viele Gesichter. Das verdeutlichten die Teilnehmer der Podiumsdiskussion mit dem Titel "Tatort Schule" am Donnerstagabend in der Aula des Schulzentrums Vogelsang.

"Unter den Begriff Mobbing fallen verschiedene Straftatbestände wie Beleidigung, Verleumdung oder Bedrohung", sagte Jörg Peiseler von der Dienststelle Kriminalprävention/Opferschutz bei der Wuppertaler Polizei. "Es darf gar nicht erst so weit kommen, dass es eine Anzeige geben muss", erklärte er sein Credo. Angesichts vermehrter Fälle von Cyber-Mobbing - also Verunglimpfungen im Internet - bräuchten die Schüler dringend mehr Medienkompetenz und Verantwortung im Umgang mit den modernen Kommunikationsmitteln. "Wir brauchen mehr Zeit für Projekte an den Schulen", forderte Peiseler. Fallstatistiken könne man wegen der vielen verschiedenen Formen von seelischen und körperlichen Grausamkeiten unter Schülern kaum erheben.

Dafür lieferte Manuela Anacker vom Sozialverband VdK, der die Diskussionsrunde gemeinsam mit der Stadtschulpflegschaft veranstaltete, erschreckende Zahlen: So sei in Deutschland jedes fünfte Kind psychisch gefährdet oder erkrankt, 55 Prozent aller jungen Menschen gaben in einer Studie an, Mobbing-Opfer geworden zu sein oder selbst andere tyrannisiert zu haben. "Dabei geht es beileibe nicht nur darum, dass man sich vielleicht mal geschubst hat", wandte sich Manuela Anacker gegen jede Bagatellisierung der Vorfälle. Moderator Stefan Seitz erwähnte zur Unterstützung dieser Aussage eine Untersuchung, wonach 20 Prozent aller Selbstmorde auf Mobbing zurückzuführen sind. Vor rund 60 Zuhörern, darunter Lehrer, Eltern und Jugendliche, stellte zudem Kerstin Hagedorn von der Organisation Nummer gegen Kummer ihre Arbeit vor. Dort können sich die Betroffenen anonym und kostenfrei beraten lassen. Stadtschulpsychologe Oliver Junggeburth warnte Eltern der Mobbing-Opfer eindringlich davor, sich als erstes mit den Eltern der Täter in Verbindung zu setzen. "Dadurch verschlimmert sich die Situation meist noch." Der Schlüssel liege in der Zusammenarbeit mit der Klassenleitung, die in vielen Fällen vom Verhalten der Schüler untereinander nichts mitbekämen.

Die Eltern im Publikum vertraten kontroverse Ansichten zum Umgang mit Mobbing. "Viele Maßnahmen sind zu lasch", kritisierte eine Frau und forderte ein härteres Durchgreifen der Lehrer: "Wenn es früher eine Rauferei gab, nahm man die Jugendlichen auf die Seite, das hat gewirkt."

Eine andere Mutter hingegen schilderte, wie ein Judo-Kurs ihrem zuvor oft schikanierten Sohn geholfen habe - nicht, weil er die Kampftechnik wirklich eingesetzt, sondern weil das Training seine Ausstrahlung auf andere verändert habe: "Er bekam dadurch ein neues Selbstwertgefühl und Gehabe, so dass die Kollegen ihn von nun an in Ruhe ließen."

(rdl)
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