Solingen Mitten im Leben

Solingen · "Trauer darf wieder mehr gelebt werden", beobachtet Pfarrerin Andrea Zarpentin. Auf dem Friedhof geht der Trend zu Wiesengräbern, auch an der Kasinostraße. Das zeigt einen gesellschaftlichen Wandel der Familie.

Der Friedhof ist ein besonderer Ort. Das ist auch auf jenem der Kasinostraße sogleich greifbar. "Wir sind mitten im Leben", sagt Friedhofsverwalter Olaf Wojak und verweist auf all die Geschäftigkeit ringsherum. Wohnhäuser auf der einen, der neue Radweg der Korkenziehertrasse auf der anderen Seite. Auch die Baukräne des City-Rathauserweiterungsprojektes sind gut zu erkennen. Wer aber an den Gräbern zwischen den hohen, alten Bäumen entlang geht und über das weite Tal mit den Grabstellen blickt, spürt sogleich eine innere Ruhe. Ein Moment der Besinnung, der Nachdenklichkeit, des Innehaltens.

"Viele machen hier sogar einen Spaziergang", sagt Wojak. Es passiere häufig, dass die alten Grabstellen fotografiert werden. Der evangelische Friedhof wirkt mitunter wie ein Park. An der Kasinostraße befindet sich der älteste Friedhof Solingens. Alte Unternehmerfamilien haben hier ihre Gruften, die Ruhestätte der Familie Henckels zum Beispiel. Sie ist über 150 Jahre alt. Ebenso wie jene der Familie Beckmann. Wo heute die Eissporthalle steht, hatten sie früher eine Schleifmittelfabrik.

Morgen ist Totensonntag. Der Tag, um den Verstorbenen der eigenen Familie zu gedenken und auf den Friedhof zu gehen. Ein bestimmtes Datum sei manchmal ganz hilfreich, dies verstärkt ins Bewusstsein zu rücken, sagt Andrea Zarpentin. Die evangelische Pfarrerin aus Dorp beobachtet, dass sich unser Umgang mit der Trauer wandelt. Man könne und dürfe das Thema wieder aussprechen. "Trauer darf wieder mehr gelebt werden." In der Vergangenheit habe es dafür häufig keinen Platz gegeben. "Die Menschen wollten sich damit nicht gern auseinander setzen." Der morgige Tag hat nach ihren Worten aber auch noch eine andere Ausrichtung — als Ewigkeitssonntag: "Das ist mehr ein Hoffnungsaspekt, weil das Leben nach dem Tod weiter geht."

"Auf unseren Friedhöfen in Solingen gibt es keine anonymen Gräber." Für die evangelische Pfarrerin hat das nicht nur einen theologischen, sondern auch seelsorgerischen Grund: "Gott kennt jeden einzelnen von uns. Wir gehen nicht in der anonymen Masse unter." Zugleich sei es wichtig für die Menschen, einen Ort zu haben, wo sie um den Angehörigen trauern können.

Auf den Wiesengräbern des Friedhofs Kasinostraße ist das möglich — ob als Erd- oder als Urnenbestattung. "Der Trend geht allgemein zu den Rasengräbern", sagt Friedhofsverwalter Olaf Wojak. "Das macht man doch heute so", hörte er einmal von einer älteren Dame. Für Wojak zeigt das auch einen gesellschaftlichen Wandel. Familien sind mitunter auseinandergerissen.

Pfarrerin Andrea Zarpentin erlebt das ebenso. Weil die Angehörigen weit weg wohnen, machen sich viele Ältere sorgen um die spätere Pflege der Grabstätte über Jahrzehnte. Sie wollen den Kindern in München, Hamburg oder Köln nicht zur Last fallen.

Selten würden noch große Dreifachgrabstellen genommen. Richtige Familiengruften gebe es heute nicht mehr", berichtet Wojak. An der Kasinostraße werden die alten Gräber mit ihren zum Teil kunstvollen Statuen, Figuren und Steinen bewahrt — als ein Stück Zeitgeschichte. Der Friedhofsverwalter findet das spannend. "Jedes Grab hat etwas anderes."

(RP)
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