Solingen und ihr Trauma der Anschläge Ausgerechnet ein Messer – und das in der Stadt, der Klingen Weltruhm brachten
Meinung | Solingen · Es sollte ein großes Fest werden, das Solingen mit seinen Bürgern feiern wollte. Die Messerattacke eines mutmaßlichen Einzeltäters stürzt die Stadt in große Trauer – wieder einmal.
Mehr als 30 Jahre liegt eine Tat zurück, die Solingen bis heute prägt: der Brandanschlag am frühen Morgen des 29. Mai 1993 auf das Haus der türkischen Familie Genç. Fünf Frauen und Mädchen wurden getötet bei der bis dahin folgenschwersten rassistischen Tat in der Geschichte der Bundesrepublik. Seitdem wird der „Brandanschlag von Solingen“ jedes Mal genannt, wenn irgendwo in Deutschland Verbrechen mit rechtsextremem Hintergrund begangen werden.
Wer als Solinger fernab der Heimat mit fremden Leuten ins Gespräch kommt, der wird immer wieder eingeholt von diesem grausamen Verbrechen. Viele verbinden Solingen ausschließlich im positiven Sinn als Stadt der Klingen und Messer – aber noch mehr nennen als erste Assoziation den Brandschlag von 1993.
Nun ist eine weitere Tragödie hinzugekommen, bei der mindestens drei Menschen ihr Leben verloren haben und die bei einem Anschlag getötet wurden. Ausgerechnet mit einem Messer, das für Solingen steht und der Stadt zu Weltruhm verholfen hat.
Solingen kommt nicht zur Ruhe und erlebt ein weiteres Trauma, das es zu vearbeiten gilt. Dass die Stadt dazu in der Lage ist, hat sie gezeigt, als sie über Jahrzehnte in enger Abstimmung mit der Familie Genç an dem Brandanschlag-Trauma gearbeitet hat und es mahnend nicht in Vergessenheit geraten lässt. Großen Einfluss hatte die am 30. Oktober 2022 verstorbene Mevlüde Genç, die den Anschlag überlebte, aber zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte in den Flammen verlor. Sie verurteilte nicht, sondern setzte sich zeitlebens für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein.
Solingen und die Menschen, die hier leben und ihre Heimat lieben, haben es nicht verdient, dass die Taten Einzelner das Image einer ganzen Stadt prägen und zerstören. Wieder stehen die Menschen zusammen, die Stadtgesellschaft will sich nicht spalten lassen – auch nicht von der Messerattacke beim Fest der Vielfalt. Ausgerechnet.
Der Messerangriff am späten Freitagabend bei der 650 Jahr-Feier ist in diesem Jahr schon das dritte Verbrechen, das die Kommune negativ in die Schlagzeilen bringt.
Am 25. März starben zwei Erwachsene und zwei Kinder bei einem Großbrand in einem Mehrfamilienhaus im Stadtteil Höhscheid. Das tödliche Feuer soll ein ehemaliger Mieter gelegt haben. Der mutmaßlichen Brandstiftung war offenbar ein Streit mit der Vermieterin vorausgegangen.
Ende Juni wurden bei einer Explosion der Konrad-Adenauer Straße – die Hauptverkehrsstraße durch die Solinger Innenstadt – ein junger Mann getötet und vier Personen verletzt. Bei dem Getöteten handelte es sich nach Polizei-Ermittlungen um den Täter, der einen Brandsatz mit brennbarer Flüssigkeit in einem Wettbüro zünden wollte.
Solingen kommt nicht zur Ruhe. Wieder einmal ist die Stadt in tiefe Trauer gestürzt worden. Immer wieder Solingen. Die Stadt und ihre Verantwortlichen, alle Solinger und Solingerinnen, müssen für ihre Heimat einstehen, für das Miteinander. Ihnen ist das schon einmal nach einem Trauma gelungen. Oder zuletzt nach dem Großbrand in Höhscheid. Ihnen wird es wieder gelingen.