Solingen Massenhafter Abschied mit Wurst und Wehmut

Solingen · Wer sich am Sonntag am Weyersberg geschickt stellte, konnte die Turmsprengung zweimal sehen: einmal in echt und einmal auf der Großleinwand. Geduldig hatten die Menschen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ausgeharrt, gelassen stellten sie sich in die Warteschlangen an den wenigen Ständen, an denen man sich mit Essen und Getränken versorgen konnte.

Solingen: Massenhafter Abschied mit Wurst und Wehmut
Foto: Köhlen, Stephan

"Viel zu wenig", befand dann auch Stefanie Mergehenn von der städtischen Pressestelle, als sie sich mit einem Teller Erbsensuppe und zwei Bratwürstchen den Weg zu Mann und Kind bahnte, die gerade auf der Suche nach einem geeigneten Standort waren, den Blick auf das Turmhotel ohne sichtbehindernde Bäume zu erhaschen.

Geschwister erinnern sich

Ein wenig wehmütig ums Herz ist es derweil den beiden Schwestern Elke und Ute Rudert. Von 1970 bis Ende 2004 haben sie im Karstadt-Komplex ihr Optikergeschäft geführt. "2004 haben wir uns schweren Herzens entschlossen, unser Geschäft aufzugeben wegen der unklaren Lage bei Karstadt." Schon als das Turmzentrum noch im Rohbau war, sind die beiden Geschäftsfrauen mit dem Architekten durch die Passage gegangen, und haben sich den Standort für ihren Laden ausgesucht. Es sei durchaus ein Wagnis gewesen, das Geschäft, das sich zuvor auf der Kölner Straße befand, sozusagen unter die Erde zu verlegen. Doch die Solinger mochten ihre Turmpassage und die Geschwister Rudert bereuten ihre Entscheidung nicht.

Auf der Bühne versuchten derweil Musiker und Tänzer, den Wartenden die Zeit zu verkürzen. Folksongs aus Cornwall oder Countrymusik der Solinger Band Reunion vermochte jedoch nur kurzzeitig die Zuschauer in den Bann zu ziehen. Vielmehr galten die Blicke dem Turmhotel, als wolle man die über Jahrzehnte prägende Silhouette noch möglichst lange ansehen, bevor sie endgültig der Vergangenheit angehört. Auf der Leinwand konnten die Besucher noch einmal die wechselvolle Geschichte des Platzes miterleben, auf dem gestern der Turm in Sekundenschnelle zusammenfiel. Das alte Monopol-Kino erschien ebenso, wie die ersten Tage des neuen, seinerzeit hochmodernen Einkaufszentrums in Erinnerung gerufen wurden. Der langjährige Karstadtmitarbeiter und Hobbyfilmer Engelbert Lodorf hatte sich viel Mühe gegeben beim Zusammenstellen des historischen Materials. Auch Ute und Elke Rudert dürfte da so manches bekannt vorgekommen sein.

Bereits gut eine Stunde vor dem ursprünglichen Sprengtermin um 13 Uhr war der Parkplatz am Weyersberg gefüllt mit Menschen, die auch die komplette Weyersberger Straße bis zur Kreuzung Mangenberg als Standort aussuchten, um den besten Blick auf das ehemalige Turmhotel zu haben. Da sollte auch die zunächst angekündigte halbstündige Verspätung nicht tragisch sein. Doch mit der Versorgung der Besucher wurde es langsam schwierig, an Imbiss- und Getränkeständen, die zwischen Werbeständen von Autohäusern aufgebaut waren, etwas zu kaufen. Offenbar hatten die Betreiber nicht mit einem solchen Ansturm gerechnet.

Feuerwerk für den Gaumen

Anders die Metzgerei Jacobs, die ausreichend "Sprengwürste" produziert hatte. Das Gräfrather Familienunternehmen baute den Imbissstand Stand unmittelbar hinter dem Busbahnhof am Graf-Wilhelm-Platz auf. "Wir waren schon um 7 Uhr hier und bekamen erst einmal einen Schreck, denn man sah selbst auf diese kurze Distanz den Turm nicht vor lauter Dunst" erzählt Seniorchef Robert Jacobs, der zusammen mit Sohn Rudolf und Ehefrau Burglind eifrig Bratwürstchen verkauft, auch schon lange vor der Sprengung, als sich der Dunst längst verzogen hat. "Die Stimmung könnte besser nicht sein", sagt Jacobs und verrät das kleine Geheimnis, das die normale Bratwurst, die er immer produziert, zur echten Sprengwurst macht: ein Hauch Cayennepfeffer. "Sie ist etwas schärfer, ein Feuerwerk für den Gaumen", sagt der Metzgermeister, bevor auch er ein letztes Mal auf das Turmhotel blickt.

(RP)
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