Solingen Listen gegen "Turboabitur" liegen aus

Solingen · Mit einem Volksbegehren soll die Rückkehr zum Abi nach neun Jahren durchsetzt werden. Die Resonanz auf Listen in den Bürgerbüros war gestern aber überschaubar. Experten plädieren für Wahlfreiheit - und fordern weitere Reformen.

Der Anfang verlief etwas zögerlich. Seit gestern können sich Eltern in Solingen in den drei städtischen Bürgerbüros mit ihrer Unterschrift in Listen eintragen, mit denen die Initiative "G 9-Jetzt-NRW" das "Turboabitur" nach acht Jahren kippen will. Doch am ersten Tag hielt sich der Andrang in Grenzen. So hatten sich etwa bis Donnerstagmittag im Büro in den Clemens-Galerien gerade einmal drei Bürger für die landesweite Wiedereinführung der Reifeprüfung nach neun Jahren ausgesprochen.

Damit legte das Volksbegehren in der Klingenstadt zunächst einmal einen veritablen Fehlstart hin - wobei den Initiatoren aber noch reichlich Zeit bleibt, um Stimmen zu sammeln. Insgesamt 18 Wochen werden die Listen nicht nur in den Galerien, sondern überdies in den Bürgerbüros in Ohligs sowie an der Gasstraße in Merscheid ausliegen, nachdem die Gesamt-Aktion - jenseits der städtischen Einrichtungen - bereits vor einigen Wochen begonnen hatte.

Es bleibt also einstweilen unklar, ob sich die in Solingen lebende NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) am Ende mit ihren zuletzt vorgestellten Plänen zu einer Reform der augenblicklichen Regelung durchsetzen kann. Diese sehen vor, dass an den Gymnasien im Land zukünftig die Wahlmöglichkeit zwischen einem Abitur nach acht beziehungsweise neun Jahren besteht.

Dabei sehen Bildungsexperten die Gesamtproblematik durchaus differenziert. Beispielsweise bezeichnete der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die von der Landesregierung präferierte Wahlfreiheit an den Gymnasien am Donnerstag als einen im Prinzip "guten Ansatz, der aber unter den jetzigen Bedingungen nicht passt". Der VBE-Vorsitzende für Solingen, Jens Merten, warnte davor, Schulen und Schüler zu überfordern. "Zum einen bräuchten wir einfach mehr Lehrer, um G 8 und G 9 parallel an Gymnasien anbieten zu können. Und es ist nötig, die Lehrpläne anzupassen", sagte Merten. Überdies mahnte der Verband an, die Sekundarstufe I - wie früher - an allen Schulformen gleich zu gestalten, so dass der Übergang von einer Realschule an ein Gymnasium nach Klasse 10 wieder leichter falle.

Das ist auch im Sinne von Dirk Bortmann, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Solingen, der sich zudem der Forderung nach mehr Lehrern anschloss. Gleichwohl sieht die GEW die Lehrpläne weniger kritisch als der VBE. "Diese sind in den vergangenen Jahren im Zuge von G 8 angepasst worden", sagte Bortmann, der darauf verwies, die Wahlfreiheit an Gymnasien sei sinnvoll. Bortmann: "Für manche Kinder ist G 8 gut. Und andere kommen mit G 9 besser zurecht."

Eine Einschätzung, die Wolfgang Sinkwitz, Vorsitzender der Solinger Stadtschulpflegschaft, teilt. "Die Meinung unter Eltern ist gespalten", berichtete Sinkwitz aus der Praxis - und verwies, wie VBE-Chef Jens Merten, auf die Friedrich-Albert-Lange-Schule. An der Gesamtschule in Wald ist bereits seit längerem ein Abitur sowohl nach acht, als auch nach neun Jahren möglich. Gleichzeitig sieht Sinkwitz ebenfalls großen Nachholbedarf in der NRW-Schulpolitik. "An allen Schulformen fehlen Lehrer", sagte der Elternvertreter gestern.

(or)
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