Solingen Keine Angst

Solingen · vor Kissels 95. Respekt vor dieser Entscheidung

Auch vier Wochen nach Kissels Geburtstagsfeier ist das Thema noch aktuell. Der ein oder andere mag es inzwischen weder hören noch lesen wollen. Dem ein oder anderen wird hingegen die gemeinsame Erklärung des Rates zu den Thesen von Günter Kissel nicht weit genug gegangen sein.

Doch es ist ein erster wichtiger Schritt, den der Rat am Donnerstag – und zwar in Einmütigkeit – tat: Öffentlich wurde sich von Kissels rechten Thesen distanziert, ihm zudem revisionistisches Denken vorgeworfen. Wörtlich heißt es in der Erklärung (komplett nachzulesen auf www.rp-online.de/solingen): „Es gehört zu den Grundrechten unserer Verfassungsordnung – und damit unterscheidet sich die Bundesrepublik Deutschland grundlegend von Unrechtsregimen der Vergangenheit und der Gegenwart –, in allen Bereichen und damit auch zur NS-Herrschaft seine Meinung im Rahmen der bestehenden Gesetze frei äußern zu können.

Wer dies im revisionistischen Sinne wie Günther Kissel tut, wühlt die Geschichte auf, verletzt die Gefühle von Opfern, Hinterbliebenen und Verfolgten und muss harte Reaktionen akzeptieren. Wer sich seriös mit der NS-Zeit auseinandersetzt, kann die millionenfachen Opfer dieser Herrschaftsordnung und die Entrechtung ganzer Bevölkerungsteile als Fakten nicht ausblenden.“

Es ist den Grünen mit ihrem Antrag auf eine noch deutlichere Erklärung, die sich nicht nur gegen seine jüngsten Thesen, sondern gegen die Person Kissel gewandt hätte, zu verdanken, dass sich die Ratsfraktionen zusammen gerauft haben, um einen Kontrapunkt zu setzen. Sicherlich mag für die ein oder andere Fraktion die Motivation der gemeinsamen Erklärung eine andere gewesen sein: Nämlich keine öffentliche Debatte über die, die zu Kissels Geburtstag gingen. Das war der Preis für eine Einigung. Der war aber selbst den Grünen nicht zu hoch. Ihre Intention sei nicht gewesen, ein Spießrutenlaufen zu veranstalten, sagte Grünen-Sprecherin Martina Zsack-Möllmann im Gespräch mit unserer Zeitung: Das sei mehr als in den vergangenen 20 Jahren im Hinblick auf Kissel passiert sei. Eines ist nach dieser ganzen Diskussion auf jeden Fall klar: Für den Fall, dass Günther Kissel seinen 95. Geburtstag wird feiern können, wird die Liste derer, die ihm die Ehre erweisen, hiernach nun sicherlich kürzer ausfallen.

Es ging also auch anders – das haben Pfarrer Joachim Römelt und Axel Heibges, Vorsitzender der Initiative Rettung Dorper Kirche, gezeigt. Sie haben es sich – anders als andere, die hinterher sagten, sie hätten die Rede gar nicht erst gelesen – nicht leicht gemacht: Die 39 Seiten, die Günther Kissel als sein politisches Vermächtnis der Einladung zu seinem 90. Geburtstag beifügte, wurde in den Gremien der Dorper Kirche genau unter die Lupe genommen. Dass Günther Kissel Römelt und Heibges wieder auslud, als diese ihm schriftlich ihre Meinung zu dem Vortrag mitteilten, zeigt einmal mehr, welche Geisteshaltung Günther Kissel immer noch hat. Er bestimmt die Spielregeln. Der 90-Jährige schrieb: „Durch Versendung meines Manuskriptes ist sicher gestellt, dass jeder die Möglichkeit hat, vorab zu entscheiden, ob er meine Einladung trotz meiner nicht gehaltenen Rede annimmt.“ Seine These: Wer schweigt, stimmt zu. Und: Wer was sagt, wird ausgeladen. Kissels Spielregeln hatten sich die Politiker unterworfen– auch wenn sie innerlich seinen Thesen wohl nicht zustimmten. Die Mitglieder der Dorper Kirche nicht. Dabei haben sie sogar in Kauf genommen, dass dringend benötigte Spendengelder in Zukunft ausbleiben. Respekt!

(RP)
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