Solingen Im Niemandsland der Kulturen

Solingen · Viel Aufregung um Nichts – oder Ausdruck gesellschaftlicher Fliehkräfte, die Migranten und Deutsche immer tiefer spalten? Die Diskussion um meist türkischstämmige Jugendliche in Wald zeigt vor allem: Wegschauen geht nicht.

Viel Aufregung um Nichts — oder Ausdruck gesellschaftlicher Fliehkräfte, die Migranten und Deutsche immer tiefer spalten? Die Diskussion um meist türkischstämmige Jugendliche in Wald zeigt vor allem: Wegschauen geht nicht.

Wo beginnen Missverständnisse, wo hören sie auf — und : Wann schlagen sie in Intoleranz um? Wenn Fatih Zingal von der Ditib-Gemeinde in der Solinger Innenstadt eine genaue Definition vornehmen will, fällt es ihm schwer, eine Grenze zu ziehen. Die Frage nach dem türkischen Namen bei der Wohnungssuche — nur freundliches Interesse oder der Einstieg in die Ablehnung? Die schlechten Aussichten junger Migranten auf dem Arbeitsmarkt — "lediglich" das Ergebnis verfehlter Bildungspolitik oder doch Ausfluss einer permanenten Benachteiligung? Zingal weiß keine einfache Antwort und hat es sich darum angewöhnt, vor allem "auf den Tonfall zu achten", der bekanntermaßen die Musik macht.

Bayram Erylmaz ist 15 Jahre alt, und auch bei ihm muss man auf Zwischentöne hören, wenn man sich auch nur ansatzweise ein Bild über die Lebenswirklichkeit junger Menschen verschaffen will, die, obwohl in Deutschland geboren, vor allem in einem Niemandsland der Kulturen zu Hause sind. Bayram gehört zu einer Clique von, wie er schätzt, "an die 40 Jugendlichen", die sich mit Vorliebe vor dem Stadtsaal Wald treffen — und die in den vergangenen Wochen Gegenstand einer hitzig geführten Diskussion über Erfolg beziehungsweise Scheitern von Integration in der Stadt wurde (wir berichteten).

Wobei sich die Frage nach dem Warum stellt. Schließlich haben Bayram und seine Freunde, Türken wie Deutsche, nichts ausgefressen. "Wir wollen nur zusammen sein", erklärt der Junge mit türkischem Pass und deutscher Heimat. Und dagegen ist wirklich nichts einzuwenden. Fatih Zingal hat zwar seine Teenager-Jahre schon geraume Zeit hinter sich, aber er kann sich noch genau an die Zeit erinnern, als er in Bayrams Alter war: "Wir hatten auch unsere Treffpunkte."

Nur dass sich damals niemand offen darüber aufregte, womit wir auf die Zwischentöne Bayrams zu sprechen kommen. Natürlich seien auch Mädchen in der Clique, erzählt er, um weiterzufahren: "Wenn sie dabei sind, gehen wir in den Stadtpark." Weshalb? "Weil die Mädels nicht mit Jungs gesehen werden wollen. Sonst gibt's Gerede."

Gerede? Rita Pickardt, CDU-Chefin von Wald, kennt die Gruppe ziemlich gut. "Für mich ist das keine Frage der Integration", erklärt sie, die den Jugendlichen einen festen Raum im Stadtsaal verschaffen will. Vielmehr drücke sich in dem unterschwelligen Konflikt um die Gruppe die Notwendigkeit aus, sich um die Kids zu kümmern.

Bevor es andere tun, möchte man hinzufügen. Tatsächlich weiß auch Fatih Zingal, der sich in der SPD engagiert, um die Einflüsse, die auf junge Menschen mit Migrationshintergrund genommen werden können. Zwar will er in dem Umstand, dass die Mädels der Walder Clique nicht mit den Jungs gesehen werden möchten, noch keine kulturelle Rolle rückwärts zu einer rückwärts gewandten wie antidemokratischen Wertvorstellungen unter Muslimen entdecken.

Trotzdem sieht er die "Notwendigkeit, religiösen wie nationalistischen Eiferern" unter den Migranten die Stirn . Fanatiker gibt es aber auch auf deutscher Seite. Die NPD mischt sich seit kurzem via Internet in die Walder Diskussion ein.

(RP)
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