Solingen Hitlers Bürokrat des Todes

Solingen · Heute vor 50 Jahren wurde Adolf Eichmann in Israel zum Tode verurteilt. Der SS-Sturmbannführer war Hitlers Organisator der millionenfachen Deportation und Ermordung von Juden. Zufällig ist er in Solingen geboren.

Seinen Geburtsort sucht man sich nicht aus. Umgekehrt haben Städte Söhne, auf die sie so gar nicht stolz sein können. Adolf Eichmann ist so einer. Geburtsort Solingen hatte er auch vor dem Tribunal vor dem Jerusalemer Bezirksgericht angeben müssen. Damals, zum Prozessauftakt am 11. April 1961, schaute nahezu die ganze Welt dorthin. In israelischen, deutschen und auch amerikanischen Zeitungen und TV-Sendern wurde fast täglich berichtet. Nach gut acht Monaten, am 15. Dezember 1961, fällten die Richter das Urteil: Tod durch den Strang.

Wie muss man sich einen Massenmörder vorstellen? Der schmächtige Mann mit der dicken Hornbrille und dem schütteren Haar wirkt unsicher und schüchtern, als er vor laufenden Fernsehkameras in der schusssicheren Glaskabine vor dem Jerusalemer Tribunal auftritt. Juristisch sei sein Handeln nicht anfechtbar, betont der so harmlos wirkende Familienvater immer wieder. Er habe doch schließlich nur Befehle ausgeführt. Der Widerspruch zwischen der Figur, ihrem Auftreten und der monströsen Tat ließ die Weltöffentlichkeit fast ebenso heftig erschaudern wie die vielen akribischen Zeugenberichte von Holocaust-Überlebenden während des Prozesses. Eichmann, der als Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zentral mitverantwortlich für die Ermordung von schätzungsweise sechs Millionen Juden war und alle Vernichtungs-Lager gut kannte, wurde zum Sinnbild eines Schreibtischtäters – Hitlers Bürokrat des Todes.

Geburtsort Solingen. Eichmanns Vater Karl Adolf war als Buchhalter für die Elektrizitäts- und Straßenbahngesellschaft tätig, als sein Sohn 1906 in Solingen geboren wurde. Bereits im Jahr 1914 zog Eichmann senior mit seiner Frau und den sechs Kindern ins österreichische Linz. Der kleine Adolf war damals gerade mal acht Jahre alt. Ein deutsches Kind wie Millionen andere auch. Dass sich niemand an es erinnerte, als im Frühjahr 1961 anlässlich des Eichmann-Prozesses ein Kamerateam nach Solingen kam und ältere Passanten nach Eichmann befragte, war nachvollziehbar. Spuren hatte der Massenmörder in Solingen nicht hinterlassen. Auch Eichmanns Elternhaus in Krahenhöhe stand Anfang der 60er Jahre nicht mehr. Misslich für die TV-Autoren, die nahezu mit leeren Händen dastanden. Der Beitrag über Solingen, der am 12. April 1961 ausgestrahlt wurde, bekam einen neuen Dreh mit der Frage: "Kann oder will sich niemand erinnern? "

Erinnern oder Verdrängen? In Solingen erinnern inzwischen Stolpersteine an den ungeliebten Sohn, der eigentlich keiner ist. Denn in der Stadt stand nur seine Wiege, immerhin: Den ersten Schultag erlebte er im Bergischen. Seine kriminelle Karriere begann 1932, als er sich den österreichischen Nazis anschloss und später in die SS eintrat. 1935 wurde er zu dem neuen, speziell für Juden zuständigen Referat versetzt. Nach dem Krieg tauchte er unter und floh später mit Hilfe eines vatikanischen Passes nach Argentinien. Von dort entführte ihn der israelische Geheimdienst Mossad im Mai 1960. Zwei Jahre später, am 29. Mai 1962, wurde Eichmann in Jerusalem gehenkt. "Eichmanns Asche im Meer verstreut", meldete einen Tag später die Morgenpost. Doch sein langer Schatten wirkt bis in heutige Tage.

(KNA)
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