Solingen Heraus aus dem Abseits

Solingen · Seit Sommer lebt der 16-jährige Daniel Redzic im Solinger Halfeshof. Nur knapp entging der junge Roma jetzt der Abschiebung nach Serbien. Eine Geschichte, die nur vorläufig ein Happy-End hat.

Daniel Redzic ist 16 und Fußballer. Jedenfalls, der Junge mit den braunen Augen weiß ganz genau, was es bedeutet, im Abseits zu stehen. Oder sogar eine Rote Karte zu bekommen. Und das wiederum hat nicht allein mit dem Umstand zu tun, dass Daniel in seiner Freizeit gerne gegen das runde Leder tritt. "Vor ein paar Wochen wusste ich noch nicht, wie es weitergeht", erinnert sich Daniel, der an diesem Mittag am Esstisch in einem Haus des Solinger Jugendheims Halfeshof Platz genommen hat. Ein Tisch, an dem er - ausländerrechtlich gesehen - eigentlich gar nicht mehr sitzen dürfte. Denn laut Pass ist Daniel Serbe, und um ein Haar wäre der junge Mann Mitte Dezember in die Heimat abgeschoben worden.

Aber was heißt hier schon Heimat? Daniel, der seit vergangenem Sommer im Halfeshof lebt, wurde in Deutschland geboren. Das Land, aus dem Mutter sowie Vater stammen, hat er noch nie gesehen. "Die Eltern sind Roma und Anfang der 90er nach Deutschland gekommen", erklärt Oliver Artmann, der sich als Bereichsleiter unter anderem um die Gruppe 9a kümmert, in der Daniel untergebracht ist.

Die 9a, das sind zwölf Jungs, die alle keine Kinder von Traurigkeit sind. Auch Daniel nicht: Der Jugendliche, der bis zu seinem zwölften Lebensjahr in Essen aufwuchs, hat erst vor kurzem eine Freiheitsstrafe kassiert. Und jetzt sitzt er eben am Tisch der Gruppe 9a, der Haftvermeidungs-Gruppe im Halfeshof, und erzählt seine Geschichte. Eine Geschichte, die nichts entschuldigen soll, das weiß auch Daniel. "Ich habe viel Mist gebaut", gibt der Junge zu. Aber doch auch eine Geschichte, die erzählt werden muss, weil man ohne sie nicht verstehen kann, warum Daniel jetzt ausgerechnet hier an diesem Tisch im Halfeshof Platz genommen hat.

So etwas wie Kindheit hat es für den jungen Mann nie gegeben. Wie gesagt, die Eltern sind Roma aus Ex-Jugoslawien, die Familie stellte in Deutschland Asyl, und als die Anträge irgendwann vor ein paar Jahren endgültig abgelehnt waren, da wurden zuerst der Vater, dann die Mutter abgeschoben - und Daniel tauchte irgendwann ab.

Mit zwölf, zuerst bei Verwandten in Frankreich, später dann in Berlin. Jedenfalls, wer den Jungen jetzt über seine Odyssee quer durch Europa und direkt ins gesellschaftliche Abseits berichten hört, der will kaum glauben, dass Daniel Jahre lang keine Schule mehr von innen gesehen hat. "Ich war nirgendwo gemeldet. Aber es war klar, dass es nicht immer so weiter gehen würde", erinnert sich Daniel in strukturierten Sätzen an die Zeit, als er irgendwie so etwas war wie ein vergessenes Stück menschliches Gepäck, das die Erwachsenen in seinem Leben einfach vergessen zu haben schienen.

Und auch jetzt ist noch lange nicht sicher, wohin den Jugendlichen die Reise zum Schluss führen wird. Ausländerrechtlich, das macht der für Daniel zuständige Abteilungsleiter der Essener Ausländerbehörde, Jörg Stratenwerth, deutlich, sind eigentlich alle Messen gelesen. "Nur weil das Jugendamt als Amtsvormund zuletzt Bedenken hatte, was den Jungen als Roma in Serbien erwarten könnte, haben wir zunächst von der Abschiebung abgesehen", erklärt Stratenwerth. Dabei weiß er allerdings auch, dass der Junge "nie eine richtige Chance hatte". "In Serbien jedenfalls nicht", befürchtet Erol Engintepe, der sich als Anwalt Daniel annahm und dafür kämpfen will, dass der Jugendliche über den 10. Januar hinaus bleiben kann.

Dann wird Daniel 18, und dann endet die augenblickliche Duldung. Noch ein Jahr also, in dem er selbst seinen Teil dazu beitragen kann, dass es eine Chance gibt. Zurzeit besucht Daniel Redzic nach Jahren mal wieder eine Schule. "Und dort gehört er zu den Eifrigsten", lobt Betreuer Artmann, der sich darüber hinaus darum bemüht, dass sein Schützling auch beruflich Boden unter die Füße kriegt.

"Maler und Lackierer wäre toll", findet Daniel - und einer solcher Job wäre dann zur Abwechslung mal kein Abseits, sondern so etwas wie der Volltreffer.

(RP)
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