Solingen Groteske und gruselige Liebesgrüße an das Adolflein

Solingen · Die Burghofbühne Dinslaken gastierte mit einer szenischen Lesung im kleinen Konzertsaal.

Das "Purzelchen" bekommt Post aus Königsberg. Margarete schreibt ihrem "Herzensadolf", dass sie Schlüssel für Haus und Zimmer habe anfertigen lassen, damit ihr "Herzensmann" direkt zu ihr kommen kann. Noch direkter wird Friedel aus Hartmannsdorf: "Lieber Führer Adolf Hitler! Eine Frau aus dem Sachsenland möchte ein Kind von Ihnen haben." Oder es wird gleich Sex eingefordert: "Ich küsse dich auf deine vier Buchstaben und tue Front frei. Mehr Patriotismus kann man nicht verlangen. Heil Adolflein!" Dagegen wirkt Emilie gerade zu bieder: "Mein Süßer, endlich habe ich dich wiedergesehen. Aber ich muss jetzt waschen und melde mich später."

Was so grotesk und gruselig daherkommt, sind "Liebesbriefe an Adolf Hitler", so der Titel der szenischen Lesung, mit der das Landestheater Burghofbühne Dinslaken im kleinen Konzertsaal gastierte. Ein US-Soldat hat 54 Briefe 1945 aus den Trümmern der Reichskanzlei geborgen. 1994 sind sie veröffentlicht worden. Für seine szenische Lesung hat Thorsten Weckherlin 14 Briefe ausgewählt. "Sie stammen von Frauen zwischen 18 und 80 und aus allen Bevölkerungsschichten", erläutert Weckherlin bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum. "Macht hat eine erotische Ausstrahlungskraft." Drum bekämen nicht nur Popstars Liebesbriefe, sondern auch Machtmenschen wie Putin oder Assad.

Faszinierte etwa Hermann Göring die Frauen noch während des Nürnberger Prozesses durch eine zweideutige sexuelle Atmosphäre, so war Hitler eher ein hässliches, kleines Männlein. Weckherlin: "Das Obszöne an diesen Briefen ist nicht der Inhalt. Das Obszöne ist die Gehorsamskultur, die sich darin spiegelt." Mit "Sieg Heil" bekommt der "liebe, gute Führer" Wein und Kuchen von seiner Nina geschickt - fast wie bei Rotkäppchen.

Nicht einen dieser Briefe hat Hitler zu Gesicht bekommen, auch wenn er die "volkstümliche" Nähe durchaus wollte. Die Liebesbekundungen werden von seinen Beamten beantwortet - mit einer vorgedruckten Karte plus Stempelunterschrift. Manche aber haben es mit dem Briefeschreiben übertrieben. Anna W. etwa. "Nach einem gesundheitlichen Gutachten wurde sie in ein Pflegeheim eingewiesen."

Julia Kempf, Anna Haack und Lara Christine Schmidt, adrett in weiße Blusen gekleidet, tragen an Tischen "ihre" Liebesbriefe vor, eine absurde Mischung aus Alltagsproblemen und Propaganda. Christoph Bahr steht für die antwortenden Beamten. Die Schauspieler verstanden es, das Grausig-Komische dieser Liebesergüsse ganz unpathetisch zu vermitteln - so als belausche der Zuschauer sie beim Schreiben.

"Mein zuckersüßer Adolf, ich stopfe gerade Strümpfe." Garniert wurde dieser Blick in den Abgrund von Verblendung und Demut mit Durchhalte-Schlagern jener Zeit. "Davon geht die Welt nicht unter", singt Zarah Leander. Davon aber, dass und warum eine Welt untergehen kann, legte dieser dokumentarische Abend ein buchstäblich sprechendes Zeugnis ab.

(RP)
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