Solingen Geschichte einer Zeitzeugin fesselt

Solingen · Dr. Yvonne Koch war im Gymnasium Schwertstraße zu Gast. Die Überlebende des KZ Bergen-Belsen schilderte den Schülern, dass einst selbst ein zehnjähriges Mädchen einer katholischen Klosterschule deportiert worden war.

In diesem Jahr wird sie 80 Jahre alt. Ein Mikrophon aber braucht Dr. Yvonne Koch nicht, während sie in der Aula des Gymnasiums Schwertstraße vor den 180 angehenden Abiturienten des Doppeljahrgangs steht und von ihrer Kindheit erzählt. "Ich war so schrecklich alleine und habe gebetet."

Mit ruhiger, gefasster Stimme hat sie gestern von den schrecklichen Ereignissen im Konzentrationslager Bergen-Belsen erzählt. Zehn Jahre alt war sie, als sie im Viehwaggon ins KZ deportiert wurde. Sie hat überlebt. "Die Erinnerungen sind für mich so, als ob es gestern gewesen wäre." Mucksmäuschen still ist es in der Schwertstraßen-Aula. 180 Schüler hören zu und erleben authentische Geschichte eines Zeitzeugen. Kein Unterrichtsbuch könnte das so vermitteln.

Für Schüler sind die Erzählungen eines Zeitzeugen von unschätzbarem Wert. Rektor Klaus Blasberg weist darauf hin. "Nichts ist besser, als aus dem eigen Leben etwas zu hören." Es komme darauf an, die Wachsamkeit zu schärfen, nicht leichtfertig etwas auf Spiel zu setzen, betont Blasberg mit Blick auf das wohl dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte. "Bestimmte Dinge dürfen nie wieder passieren."

Dem fühlt sich gerade das Gymnasium Schwertstraße verpflichtet. Unmittelbar am Pausenhof stand einst die Synagoge der jüdischen Gemeinde, ehe sie von den Nazis zerstört wurde.

Im Mai ist Zeitzeuge Sally Perel zu Gast im Gymnasium Schwertstraße. Der Autor des Buches "Ich war Hitlerjunge Salomon" wird den Schülern dann schildern, unter welchen Umständen er einst als Kind sein Leben rettete. Viele solcher Gelegenheiten, authentische Erzählungen von Zeitzeugen zu bekommen, wird es in Zukunft für Schüler nicht mehr geben. Es werde der Punkt kommen, an denen niemand mehr berichten könne, was im KZ passiert sei, sagt Yvonne Koch, die heute in Düsseldorf lebt. Sie selbst werde in diesem Jahr doch schon 80 — und sie erlebt, wenn sie vor Schülern spricht, dass die "Generation meiner Enkel wissen möchte, wie es war".

Ihr Schicksal zeigt, dass selbst ein katholisch getauftes Mädchen wie Yvonne Koch, das damals in der Tschechoslowakei im Kloster-Schulinternat lebte, über Nacht ins KZ deportiert werden konnte. Plötzlich stand ein SS-Offizier vor ihr, erkundigte sich nach ihrem Vater — einem Arzt, der zwei Flüchtlingen aus dem KZ Auschwitz geholfen hatte. Doch sie wusste nichts über den Aufenthaltsort ihres Vaters, der sich in den Bergen versteckt hatte. Darauf wurde das zehnjährige Mädchen abgeführt, im November 1944 nach Bergen-Belsen deportiert.

Eine Qual, erzählt sie, war der Zählappell im KZ. Wer unter den Menschen, die Hunger litten, nach den Stunden des Stehens in der Kälte zusammenbrach, wurde erschossen. Bei der Befreiung Bergen-Belsens durch die Engländer im April 1945 lag Yvonne Koch bereits geschwächt im Koma. Einem englischen Soldaten hat sie ihr Leben zu verdanken. Er erkannte, dass sie noch am Leben war, setzte sich dafür ein, dass sie ins Lazarett kam.

(RP/rl)
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